Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
Henry Pierce. Es ist wichtig. Ruf mich zurück. Egal, was passiert ist oder was sie dir angetan haben, ruf mich an. Ich kann dir helfen. Ich habe eine neue Telefonnummer. Schreib sie dir also bitte auf.«
Er las die Nummer von seinem Handgelenk ab und legte auf. Ein paar Momente ließ er das Telefon noch auf seinem Schoß, halb in der Erwartung, halb in der Hoffnung, sie würde sofort zurückrufen. Das tat sie nicht. Nach einer Weile stand er auf und verließ das Schlafzimmer.
In der Küche sah er den leeren Wäschekorb auf der Arbeitsplatte stehen. Ihm fiel ein, dass er darin die Einkäufe aus der Tiefgarage hochgebracht hatte, als er Wentz und Zwei-Meter vor dem Aufzug begegnet war. Er erinnerte sich, dass er den Wäschekorb fallen gelassen hatte, als er aus dem Lift gestoßen worden war. Jetzt war der Korb hier. Er öffnete den Kühlschrank und sah hinein. Es war alles da, was er nach oben gebracht hatte – außer den Eiern, die wahrscheinlich zerbrochen waren. Er überlegte, wer das getan haben könnte. Nicole? Die Polizei? Ein Nachbar, den er nicht einmal kannte?
Diese Frage ließ ihn an das denken, was Detective Renner über den Guter-Samariter-Komplex gesagt hatte. Wenn es so einen Komplex tatsächlich gab, konnten einem alle uneigennützigen Helfer und Wohltäter nur Leid tun. Die Vorstellung, ihre Bemühungen könnten von Polizisten mit Zynismus betrachtet werden, deprimierte ihn.
Pierce fiel ein, dass er immer noch mehrere Tüten mit Lebensmitteln im Kofferraum des BMW hatte. Er nahm den Wäschekorb und beschloss, sie zu holen, denn er war hungrig, und die Salzstangen und Limonaden und sonstigen Snacks, die er gekauft hatte, waren immer noch bei den Sachen im Kofferraum.
Da er sich von dem Überfall und der Operation immer noch schwach fühlte, machte er den Korb nicht zu voll, als er die erste Ladung nach oben brachte. Er beschloss, zweimal zu fahren, und als er mit der zweiten Ladung in die Wohnung zurückkam, fragte er wieder den Anrufbeantworter ab und stellte fest, dass er einen Anruf verpasst hatte. Er hatte eine Nachricht. Er sah auf das Display der Anruferidentifizierung und stellte fest, dass es Lucy LaPortes Handynummer war.
Pierce verfluchte sich selbst, dass er den Anruf verpasst hatte, dann installierte er rasch den Kode zum Abfragen der Mailbox. Wenig später hörte er die Nachricht ab.
»Mir helfen? Du hast mir bereits genug geholfen, Henry. Sie haben mich übel zugerichtet. Ich bin am ganzen Körper grün und blau, und kann mich so unmöglich in der Öffentlichkeit sehen lassen. Ich will, dass du endlich aufhörst, hier anzurufen und mir deine Hilfe anzubieten. Ab sofort rede ich nicht mehr mit dir. Hör auf , hier anzurufen, hast du verstanden?«
Die Nachricht war zu Ende. Pierce hielt das Telefon weiter an sein Ohr, während sein Gedächtnis Teile der Nachricht wie eine verkratzte alte Schallplatte immer wieder abspielte. Sie haben mich übel zugerichtet. Ich bin am ganzen Körper grün und blau. Ihm wurde schwindlig, und er stützte sich mit der Hand an der Wand ab. Dann lehnte er sich mit dem Rücken dagegen und rutschte daran nach unten, bis er, mit dem Telefon wieder auf seinem Schoß, auf dem Boden saß.
Er rührte sich mehrere Sekunden lang nicht. Schließlich hob er das Telefon und begann, ihre Nummer zu wählen. Doch dann überlegte er es sich anders und legte auf.
»Okay«, sagte er laut.
Er schloss die Augen. Er überlegte, ob er Janis Langwiser anrufen sollte, um ihr zu sagen, dass er eine Nachricht von Lucy erhalten hatte und dass sie zumindest noch am Leben war. Danach könnte er sie fragen, ob sie seit ihrem Treffen im Krankenhaus etwas Neues in Erfahrung gebracht hatte.
Bevor er es jedoch tun konnte, läutete das Telefon, das er immer noch in der Hand hielt. Ohne vorher auf die Anruferidentifizierung zu sehen, nahm er das Gespräch sofort an. Er dachte, es könnte wieder Lucy sein – wer sonst hatte die neue Nummer? –, und sein Hallo war mit hektischer Verzweiflung unterlegt.
Aber es war nicht Lucy. Es war Monica.
»Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, dass Montag und Dienstag Ihr Freund Cody Zeller auf Ihrem Privatanschluss drei Nachrichten hinterlassen hat. Ich glaube, er wartet dringend auf Ihren Rückruf.«
»Danke, Monica.«
Pierce konnte Zeller nicht direkt zurückrufen. Sein Freund nahm keine Anrufe direkt entgegen. Um ihn zu erreichen, musste Pierce seinen Pager anrufen und eine Rückrufnummer angeben. Wenn Zeller die Nummer kannte, rief er
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