Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
willst, Jack.«
»Ich will es hier nicht schaffen, ist mir zu gefährlich.« Er dachte an zu Hause, an seinen Vater. Musste Dad nicht zwangs läufig denken, dass ihm etwas zugestoßen war?
»Gefährlich? Natürlich ist es hier gefährlich! Das ist ja gerade das Schöne. Wer will schon ein Leben ohne Risiko? Du musst aufhören, wie ein Zweitweltler zu denken und endlich mal ein bisschen leben, bevor dich die Paladine holen.« Davey schüttelte sich.
»Was sind eigentlich die Paladine? Polizisten?«
»Das nun nicht gerade – eher so was wie die Elitesoldaten einer Privatarmee.«
»Und wem gehört die?«
Davey warf die Papiertüte weg, in der das Sandwich gewesen war. Der kalte Wind ergriff sie und wehte sie über das Wasser. »Rouland. Die Paladine arbeiten für Rouland.«
»Was ist das für einer? Kann er mir helfen?«
»Rouland ist alles Mögliche, aber nichts davon ist gut.«
»Was denn alles?«
»Er hält sich für so eine Art Wissenschaftler, bloß dass aus seinem Labor niemand je wieder lebend rausgekommen ist. Eigentlich reicht es, wenn du weißt, dass er mächtig ist und die Paladine in der Hinterhand hat.«
»Aber warum ist er hinter mir her?«
»Keine Ahnung, Kumpel. Je früher wir dich zum Zimmermann schaffen können, desto bester.«
»Ich sollte besser wieder zurück nach Hause.«
»Dort ist es doch nicht sicher. Oder spielst du gern mit Müllmännern?«
»Und die, was sind das für welche?«
»Tote Viecher«, sagte Davey zögernd. »Ein Echo, das die Lebenden zurücklassen, mehr nicht. Ein Operator, ein guter, kann so ein Echo nehmen und für sich arbeiten lassen. Verstehst du?«
»Nein.« Jack seufzte. Das ging alles einfach über seinen Verstand. »Eigentlich nicht.«
Davey runzelte die Stirn. »Ist doch ganz einfach! Sie be stehen aus Hass, Furcht und Zorn, mehr nicht. An denen ist nichts Lebendiges. Man kann nicht mit ihnen reden, man kann nicht um Gnade flehen. Man kann nur abhauen und sich verstecken und hoffen, dass sie einen nicht kaltmachen.«
»Aber ich verstehe nicht, wie …«
»Hör auf mit dem Mädchengeplapper!«, unterbrach Davey ihn. »Wenn du bloß mal auf mich hörst, dann passiert dir nichts. Ich pass schon auf dich auf, okay?«
»Du passt auf mich auf?«, höhnte Jack. »Du hast mich doch gerade erst im Stich gelassen.«
»Ich hab für dich den Dampf rausgenommen, das ist alles. Wenn wir beide noch in der Kneipe gewesen wären, als die Paladine aufgekreuzt sind, dann hätten sie uns einkassiert, oder etwa nicht?«
Jack zögerte, dann nickte er zweifelnd.
»Na siehste.« Davey lächelte zwar, aber in seiner Stimme schwang Ärger mit.
Jack schloss die Augen und versuchte aus dieser neuen Welt voller Paladine, Müllmänner, Zimmerleute und Opera tor schlau zu werden. Er hatte tausend Fragen, tausend Zwei fel. Sein bisheriges Leben kam ihm plötzlich farblos und banal vor, voller alberner Streitereien über Kleinigkeiten. Trotzdem sehnte er sich nach diesem wenig gefährlichen, unbedeutenden Dasein zurück.
Aber er war anders, und das wusste er auch. Inwieweit, das konnte er nicht sagen; doch er hatte nie viel mit den anderen Kindern in der Siedlung gemeinsam gehabt. Selbst seine wenigen Schulfreunde standen ihm nicht wirklich nahe und waren kaum mehr als flüchtige Bekanntschaften. Ihm fehlte so eine Bande von eingeschworenen Freunden, die eigentlich sein Leben mit ihm hätten teilen und mit ihm zusammen erwachsen werden müssen. Jack hatte definitiv etwas an sich, das ihn von den anderen trennte; er war irgendwie anders, nicht normal.
»Und wann gehen wir zu diesem Zimmermann?«
Davey trat auf die groben Kieselsteine an der Uferkante. »Gleich. Muss erst noch pinkeln.«
Jack sah sich wieder die Skyline an; er kam nicht darüber hinweg, wie sehr sie sich von dem London unterschied, das er kannte. Die Kathedrale von St. Paul war immer noch da, wo sie hingehörte, und weiter den Fluss hinab konnte er den Big Ben sehen, aber praktisch der ganze Rest war anders. Die ganzen Hochhäuser fehlten – der Swiss-Re-Tower, The Shard, Canary Wharf und die schimmernden Türme von Docklands. Die Stadt wirkte weniger protzig, sondern eher flach und weit.
»Wir haben diese Zeit in der Schule durchgenommen«, sagte er, »den Krieg.«
Davey sah sich interessiert zu ihm um. »Den Krieg? Du weißt über den Krieg Bescheid?«
»Ja. Hatten wir in Geschichte.«
Davey wirkte wenig überzeugt und wandte sich wieder zum Fluss um. »Welchen Krieg meinst du denn?«
»Den Zweiten
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