Jack Reacher 01: Größenwahn
vielleicht was bringen.«
»Möglich«, sagte ich. Schloß die Tür hinter ihr.
»Zeitverschwendung«, sagte Finlay zu mir. »Glauben Sie etwa, daß Spivey Ihnen so etwas verraten würde?«
Ich lächelte ihm zu.
»Wenn er es weiß, sagt er es mir auch«, erklärte ich ihm. »Bei einer solchen Frage kommt es darauf an, wie man sie stellt, nicht wahr?«
»Seien Sie vorsichtig, Reacher. Wenn die merken, daß Sie langsam rauskriegen, was Hubble wußte, werden die Sie opfern, wie sie ihn geopfert haben.«
Charlie und ihre Kinder schossen mir durch den Kopf, und ich bekam eine Gänsehaut. Sie mußten glauben, daß Charlie ahnte, was Hubble gewußt hatte. Das war unvermeidlich. Vielleicht auch die Kinder. Ein vorsichtiger Mensch könnte annehmen, daß die Kinder zufällig etwas mitgehört hatten. Es war vier Uhr. Die Kinder würden von der Schule zurück sein. Da draußen trieben sich Leute herum, die mit Gummiüberschuhen, Nylonoveralls und Gummihandschuhen gerüstet waren. Und mit scharfen Messern. Und mit einem Sack Nägel. Und mit einem Hammer.
»Finlay, rufen Sie Ihren Freund Picard sofort an«, sagte ich. »Wir brauchen seine Hilfe. Wir müssen Charlie Hubble irgendwo in Sicherheit bringen. Und ihre Kinder. Und zwar sofort.«
Finlay nickte ernst. Er begriff, was ich dachte.
»Sicher«, sagte er. »Bewegen Sie Ihren Arsch zum Beckman Drive. Auf der Stelle. Bleiben Sie dort. Ich hole Picard. Sie verschwinden nicht, bis er auftaucht, okay?«
Er nahm den Hörer. Wählte auswendig eine Nummer in Atlanta.
Roscoe saß wieder an ihrem Schreibtisch. Bürgermeister Teale übergab ihr einen dicken Stapel mit Akten. Ich ging zu ihr hinüber und zog mir einen Stuhl heran. Setzte mich neben sie.
»Wann hast du Feierabend?«
»Gegen sechs, schätze ich«, sagte sie.
»Bring ein paar Handschellen mit, okay?«
»Du bist verrückt, Jack Reacher.«
Teale beobachtete uns, also stand ich auf und küßte sie auf ihr Haar. Ging hinaus in den Nachmittag und steuerte auf den Bentley zu. Die Sonne sank, und die Hitze war geschwunden. Die Schatten wurden länger. Fühlte sich an, als nahte der Herbst. Hinter mir hörte ich jemanden rufen. Bürgermeister Teale war mir aus dem Gebäude gefolgt. Er rief mich zurück. Ich blieb, wo ich war. Zwang ihn, zu mir zu kommen. Er hinkte herbei und stieß dabei lächelnd mit seinem Spazierstock auf. Streckte die Hand aus und stellte sich vor. Sagte, sein Name sei Grover Teale. Er hatte dieses Politikertalent, jemanden mit dem Blick zu fixieren und wie ein Scheinwerfer zu strahlen. Als würde er sich wahnsinnig freuen, nur weil er mit mir sprechen konnte.
»Bin froh, daß ich Sie erwische«, sagte er. »Sergeant Baker hat mich auf den neuesten Stand über die Morde am Lagerhaus gebracht. Mir scheint das alles ziemlich klar zu sein. Wir haben einen dummen Fehler gemacht, als wir Sie verhafteten, und es tut uns allen wirklich leid wegen Ihres Bruders, und wir werden Sie informieren, sobald wir zu irgendwelchen Erkenntnissen in dem Fall gekommen sind. Bevor Sie also wieder fahren, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie so freundlich wären, meine Entschuldigung stellvertretend für das ganze Department anzunehmen. Ich möchte nicht, daß Sie einen schlechten Eindruck von uns bekommen. Können wir uns darauf einigen, daß es ein dummer Fehler war?«
»Okay, Teale«, sagte ich. »Aber warum glauben Sie, daß ich wegfahre?«
Er fing sich schnell wieder. Nur ein winziges Zögern.
»Ich dachte, Sie wären nur auf der Durchreise«, sagte er. »Wir haben hier in Margrave kein Hotel, und ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie eine Möglichkeit zum Übernachten finden.«
»Ich bleibe«, sagte ich. »Ich habe ein großzügiges, gastfreundliches Angebot bekommen. Dafür ist der Süden doch berühmt, oder? Für seine Gastfreundschaft.«
Er strahlte mich an und faßte an sein besticktes Revers.
»Oh, ganz zweifellos, Sir«, sagte er. »Der Süden insgesamt, und Georgia im besonderen, ist berühmt für die herzliche Aufnahme von Fremden. Dennoch befinden wir uns, wie Sie vielleicht wissen, im Moment in einer ziemlich prekären Lage. Unter diesen Umständen wäre ein Motel in Atlanta oder Macon sicher viel angenehmer für Sie. Natürlich würden wir mit Ihnen in Verbindung bleiben und Ihnen jede Hilfe beim Begräbnis Ihres Bruders anbieten, wenn der traurige Moment gekommen ist. Aber ich fürchte, daß wir hier in Margrave alle sehr beschäftigt sein werden. Das wird nur langweilig für Sie sein, Officer
Weitere Kostenlose Bücher