Jack Reacher 01: Größenwahn
sicher. Genoß die Schönheitssalons und die Verabredungen zum Lunch in Atlanta mit ihren Freundinnen. Den Bentley und die Gold Cards. Die große Küche, die mehr kostete, als ich in einem Jahr verdient hatte. Aber wenn es darauf ankam, war sie eine Frau, die sich in den Dreck begeben und kämpfen würde. Vielleicht wäre sie vor hundertfünfzig Jahren auf einem Treck Richtung Westen gewesen. Sie hatte genug Entschlossenheit dazu. Sie sah mich über den Tisch hinweg fest an.
»Ich bin heute morgen in Panik geraten«, sagte sie. »So bin ich eigentlich überhaupt nicht. Sie müssen einen sehr schlechten Eindruck von mir bekommen haben, fürchte ich. Nachdem Sie gegangen sind, habe ich mich beruhigt und alles überdacht. Ich kam zu demselben Schluß wie Sie. Hub ist in irgendwas hineingeraten und hat sich darin verstrickt. Was muß ich also tun? Mich zunächst einmal beruhigen und anfangen nachzudenken. Ich bin seit Freitag in einem fürchterlichen Zustand, und dafür schäme ich mich. Ich bin wirklich nicht so. Also habe ich etwas getan, und ich hoffe, Sie werden mir das verzeihen?«
»Und was war das?«
»Ich habe Dwight Stevenson angerufen«, sagte sie. »Er erwähnte, daß er ein Fax vom Pentagon über Ihre Arbeit bei der Militärpolizei gesehen hat. Ich bat ihn, es zu suchen und mir vorzulesen. Ich hielt es für ein ausgezeichnetes Zeugnis.«
Sie lächelte mich an. Rückte ihren Stuhl näher.
»Ich möchte Sie also anheuern«, sagte sie. »Ich möchte Sie, wenn das möglich ist, als Privatmann anheuern, um das Problem meines Mannes zu lösen. Werden Sie darüber nachdenken?«
»Nein«, sagte ich. »Das kann ich nicht, Charlie.«
»Können oder wollen Sie nicht?«
»Ich würde in eine Art Interessenkonflikt geraten«, sagte ich. »Das könnte bedeuten, daß ich nicht angemessen für Sie arbeiten würde.«
»In einen Konflikt? Welcher Art?«
Ich schwieg eine Zeitlang. Versuchte eine Möglichkeit zu finden, es ihr zu erklären.
»Ihr Mann fühlte sich schlecht, okay?« begann ich. »Er hatte Kontakt zu einer Art Ermittler, einem Mann von der Regierung, und die beiden versuchten, die Situation in Ordnung zu bringen. Aber der Mann von der Regierung wurde umgebracht. Und ich fürchte, meine Interessen liegen mehr auf der Seite dieses Regierungstypen als auf der Ihres Mannes.«
Sie verstand, was ich sagte, und nickte.
»Aber warum?« fragte sie. »Sie arbeiten doch nicht für die Regierung.«
»Der Mann von der Regierung war mein Bruder«, sagte ich ihr. »Ich weiß, es ist nur ein verrückter Zufall, aber ich bin gebunden.«
Sie schwieg. Sie erkannte, wo der Konflikt entstehen konnte.
»Es tut mir sehr leid. Aber Sie wollen damit doch nicht sagen, daß Hub Ihren Bruder verraten hat?«
»Nein, das wäre das letzte, was er getan hätte. Er war von meinem Bruder abhängig, wenn er da rauskommen wollte. Irgendwas ging schief, das ist alles.«
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Warum sprechen Sie nur in der Vergangenheit von meinem Mann?«
Ich sah ihr in die Augen.
»Weil er tot ist«, sagte ich. »Es tut mir sehr leid.«
Charlie schluckte es. Sie wurde blaß und preßte ihre Hände zusammen, bis die Knöchel wächsern wurden. Aber sie brach nicht zusammen.
»Ich glaube nicht, daß er tot ist«, flüsterte sie. »Ich würde es wissen. Ich könnte es fühlen. Ich glaube, er versteckt sich nur irgendwo. Ich möchte, daß Sie ihn suchen. Ich zahle Ihnen, was Sie wollen.«
Ich schüttelte langsam den Kopf.
»Bitte«, sagte sie.
»Das tue ich nicht, Charlie. Ich würde das nicht für Geld machen. Ich würde Sie nur ausnutzen. Ich kann Ihr Geld nicht nehmen, weil ich weiß, daß er schon tot ist. Es tut mir sehr leid, aber so ist es.«
Dann herrschte lange Schweigen in der Küche. Ich saß am Tisch und hielt den Kaffee, den sie für mich gemacht hatte.
»Würden Sie es machen, wenn ich Ihnen kein Geld gäbe?« fragte sie. »Vielleicht könnten Sie sich ja nach ihm umsehen, während Sie versuchen, etwas über Ihren Bruder herauszufinden?«
Ich dachte darüber nach. Sah keine Möglichkeit, ihr das abzuschlagen.
»Okay, das mache ich, Charlie. Aber wie ich schon sagte, erwarten Sie keine Wunder. Ich glaube, wir haben es hier mit etwas sehr Bösem zu tun.«
»Ich glaube, daß er lebt«, sagte sie. »Ich würde es wissen, wenn es nicht so wäre.«
Ich machte mir langsam Sorgen, was geschehen würde, wenn man seine Leiche fand. Sie würde in der gleichen Weise mit der Realität konfrontiert werden wie
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