Jack Reacher 01: Größenwahn
knirschenden Kies zum Eingang. Es war ein grauer Tag. Der nächtliche Regen hatte die Luft abgekühlt und Wolkenfetzen über den ganzen Himmel verteilt. Die Metallverkleidung am Diner spiegelte die trübe Atmosphäre wider. Es war kalt. Es fühlte sich an, als wäre eine neue Jahreszeit angebrochen.
Wir gingen hinein. Das Lokal war leer. Wir wählten eine Nische, und die Frau mit der Brille brachte uns Kaffee. Wir bestellten Schinken und Ei mit allen Extras. Ein schwarzer Pick- up fuhr draußen auf den Parkplatz. Derselbe Pick-up, den ich schon dreimal gesehen hatte. Aber mit einem anderen Fahrer. Nicht der Kliner-Sohn. Es war ein älterer Mann. Vielleicht an die sechzig, aber knochenhart und hager. Eisengraues, bis fast zur Kopfhaut zurückgeschnittenes Haar. Er war wie ein Farmer in Jeans gekleidet. Sah aus, als würde er ständig im Freien leben. Selbst durch Enos Fenster hindurch konnte ich seine Kraft spüren und die Feindseligkeit in seinen Augen sehen. Roscoe stieß mich an und wies nickend auf den Mann.
»Das ist Kliner«, sagte sie. »Der Alte höchstpersönlich.«
Er stieß die Tür auf und blieb einen Moment lang stehen. Blickte nach links, blickte nach rechts und ging hinüber zur Theke. Eno kam aus der Küche. Die beiden sprachen leise miteinander. Steckten die Köpfe zusammen. Dann stand Kliner wieder auf. Wandte sich zur Tür. Blieb stehen und blickte nach links, blickte nach rechts. Ließ seinen Blick eine Sekunde lang auf Roscoe ruhen. Sein Gesicht war mager, ebenmäßig und hart. Sein Mund wirkte wie eine Linie, die man hineingemeißelt hatte. Dann sah er mich sekundenlang an. Ich fühlte mich, als würde ich von einem Scheinwerfer angestrahlt. Seine Lippen teilten sich zu einem seltsamen Lächeln. Er hatte sonderbare Zähne. Lange, nach innen geneigte Eckzähne und ebenmäßige, quadratische Schneidezähne. Gelb, wie bei einem alten Wolf. Seine Lippen schlossen sich wieder, und er wandte rasch den Blick ab. Zog die Tür auf und ging über den knirschenden Kies zu seinem Wagen. Fuhr mit aufheulendem Motor und spritzendem Kies davon.
Ich sah, wie er verschwand, und drehte mich Roscoe zu.
»Jetzt erzähl mir mal mehr über diese Kliners«, sagte ich.
Sie wirkte immer noch nervös.
»Warum? Wir kämpfen hier um unser Leben, und du willst über die Kliners reden?«
»Ich suche nach Informationen«, sagte ich. »Kliners Name taucht hier ständig auf. Er sieht aus wie ein interessanter Typ. Sein Sohn ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Und ich habe seine Frau gesehen. Sie wirkte unglücklich. Ich frage mich, ob das alles irgendwie zusammenhängt.«
Sie zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf.
»Ich wüßte nicht, wie«, sagte sie. »Sie sind neu hier, erst seit fünf Jahren. Die Familie hat ein Vermögen mit der Verarbeitung von Baumwolle gemacht, vor einigen Generationen, drüben in Mississippi. Haben eine neue Chemikalie erfunden, irgendeine neue Formel. Was mit Chlor oder Natrium, genau weiß ich es nicht. Brachte ein riesiges Vermögen, aber sie bekamen Ärger mit der Umweltbehörde drüben, weißt du, vor ungefähr fünf Jahren, wegen Umweltverschmutzung oder so. Es gab ein Fischsterben bis nach New Orleans runter, weil sie ihr Abwasser in den Fluß geleitet haben.«
»Und was passierte dann?«
»Kliner zog mit der ganzen Anlage um«, sagte sie. »Mittlerweile gehörte ihm die Firma. Er schloß den Betrieb in Mississippi und baute ihn in Venezuela oder so wieder auf. Dann versuchte er, alles auf neue Geschäfte umzustellen. Er tauchte vor fünf Jahren hier in Georgia auf, mit seinen Lagerhäusern. Konsumgüter, Elektronikgeräte und so weiter.«
»Also sind sie nicht von hier?«
»Ich habe sie vor fünf Jahren das erste Mal gesehen. Weiß nicht viel über sie. Aber ich habe nie etwas Schlechtes gehört. Kliner ist wahrscheinlich ein zäher Bursche, sogar rücksichtslos, aber er ist in Ordnung, solange man kein Fisch ist, vermute ich.«
»Und warum hat seine Frau dann solche Angst?«
Roscoe zog ein Gesicht.
»Sie hat keine Angst. Sie ist krank. Vielleicht hat sie Angst, weil sie krank ist. Sie wird sterben, klar? Das ist nicht Kliners Schuld.«
Die Kellnerin kam mit dem Essen. Wir aßen schweigend. Die Portionen waren riesig. Der Schinken war großartig. Die Eier köstlich. Dieser Eno hatte es raus mit Eiern. Ich spülte alles mit literweise Kaffee hinunter. Meinetwegen mußte die Kellnerin zum Auffüllen hin- und herlaufen.
»Und Pluribus sagt dir überhaupt nichts?« fragte
Weitere Kostenlose Bücher