Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Handschellen. Revolver mit großen Holzgriffen steckten in Lederhalftern. Polizeibeamte. Schon etwas älter. Ziemlich klein. Ziemlich breit.
Sheryl hätte am liebsten gekichert. Der Mann hatte eine Stirnglatze. Die Deckenbeleuchtung spiegelte sich darauf. Das Haar der Frau war dauergewellt und karottenrot gefärbt. Sie sah älter aus als der Mann. Musste um die Anfang fünfzig sein.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte sie.
Sheryl nickte wortlos. Die wasserklare Flüssigkeit summte so in ihren Schläfen, dass sie nicht klar denken konnte. Die Frau zog einen Stuhl heran, der über den Fußboden scharrte, und setzte sich auf die dem Tropf abgewandte Seite rechts vor Sheryl. Der Mann nahm direkt hinter ihr Platz. Die Frau beugte sich leicht nach vorn übers Bett, und der Mann legte seinen Kopf etwas schief, um an ihr vorbeizusehen. Die beiden waren ziemlich nahe, und Sheryl konnte sich nur mit Mühe auf ihre Gesichter konzentrieren.
»Ich bin Officer O’Hallinan«, stellte die Frau sich vor.
Sheryl nickte wieder. Der Name passte zu ihr. Rotes Haar, breites Gesicht, schwerer Körperbau, dazu brauchte sie einen irischen Namen. Viele New Yorker Cops waren irischer Abstammung. Das wusste Sheryl. Manchmal war das wie ein Familienunternehmen. Es vererbte sich von einer Generation zur nächsten.
»Officer Sark«, sagte der Mann.
Er war auffällig blass. Seine tief in ihren Höhlen liegenden Augen blickten freundlich. Sie waren von zahllosen Fältchen eingerahmt.
»Wir möchten, dass Sie uns erzählen, was passiert ist«, sagte die Frau, die O’Hallinan hieß.
Sheryl schloss die Augen. Sie konnte sich nicht wirklich daran erinnern, wie alles passiert war. Sie wusste, dass sie Marilyns Haus betreten hatte. Sie erinnerte sich an den Geruch von Teppichreiniger und daran, gedacht zu haben, das sei ein Fehler. Vielleicht würde der Kunde sich fragen, ob damit etwas überdeckt werden sollte. Dann lag sie plötzlich in der Diele auf dem Rücken, und ihre Nase schien vor Schmerzen explodieren zu wollen.
»Können Sie uns sagen, was passiert ist?«, fragte der Mann namens Sark.
»Ich bin gegen eine Tür gelaufen«, flüsterte Sheryl. Dann nickte sie, als wolle sie ihre Aussage bekräftigen. Das war wichtig. Keine Polizei, hatte Marilyn ihr eingeschärft. Noch nicht.
»Gegen welche Tür?«
Das wusste sie nicht. Davon hatte Marilyn nichts gesagt. Das war etwas, worüber sie nicht gesprochen hatten. Gegen welche Tür? Sie geriet in Panik.
»Bürotür«, sagte sie.
»Ist Ihr Büro hier in der Stadt?«, fragte O’Hallinan.
Sheryl gab keine Antwort. Sie starrte die Frau mit dem freundlichen Gesicht nur ausdruckslos an.
»Nach Auskunft Ihrer Versicherung arbeiten Sie in Westchester«, sagte Sark. »Bei einem Immobilienmakler in Pound Ridge.«
Sheryl nickte.
»Sie sind also in Westchester gegen Ihre Bürotür gelaufen«, sagte O’Hallinan. »Und jetzt liegen Sie fünfzig Meilen von dort entfernt in einem Krankenhaus in New York City«
»Wie ist das passiert, Sheryl?«, fragte Sark.
Sie gab keine Antwort. In dem kleinen durch Vorhänge abgetrennten Raum war es still. Sie hörte nur das Summen in ihren Schläfen.
»Wir können Ihnen helfen, wissen Sie«, erklärte O’Hallinan. »Deshalb sind wir hier. Wir können dafür sorgen, dass so was nicht wieder passiert.«
Sheryl nickte erneut.
»Aber Sie müssen uns erzählen, wie’s passiert ist. Tut er das oft?«
Sheryl starrte sie verwirrt an.
»Sind Sie deshalb hier?«, fragte Sark. »Sie wissen schon, ein neues Krankenhaus, keine Unterlagen von den früheren Malen? Was würden wir finden, wenn wir in Mount Kisco oder White Plains nachfragen würden? Würden wir erfahren, dass Sie dort bekannt sind? Vielleicht von früheren Krankenhausaufenthalten? Weil er Sie schon früher geschlagen hat?«
»Ich bin gegen eine Tür gelaufen«, flüsterte Sheryl.
O’Hallinan schüttelte den Kopf. »Sheryl, wir wissen, dass das nicht stimmt.«
Sie stand auf und nahm eine Röntgenaufnahme aus der Halterung des Leuchtkastens an der Wand. Hielt sie vor die Deckenbeleuchtung wie eine Ärztin.
»Dies ist Ihre Nase«, sagte sie und zeigte darauf. »Dies sind Ihre Wangenknochen und dies hier das Stirnbein und das Kinn. Sehen Sie das hier? Nasenbein und Wangenknochen sind gebrochen, Sheryl. Diese Teile Ihres Schädels sind eingedrückt. Sie liegen tiefer als Kinn und Stirnbein. Aber Kinn und Stirnbein sind in Ordnung. Also stammt diese Verletzung von etwas, das Sie waagrecht getroffen hat,
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