Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht

Titel: Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
Kostüm. Sie sah blass und erschöpft, aber sehr schön aus. Sehr schlank, durch hohe Absätze noch größer, lange Beine in hauchdünnen schwarzen Nylons. Feines blondes Haar, lang und glatt, blaue Augen, zartes Gesicht. Sie schritt elegant über den Rasen und blieb am Fuß der Betontreppe stehen, als warte sie darauf, dass er zu ihr herunterkomme.
    »Hallo, Reacher«, sagte sie leise.
    Er starrte sie an. Sie wusste, wer er war. Und er wusste, wer sie war. Das wurde ihm so plötzlich klar, als habe ein Zeitrafferfilm fünfzehn Jahre auf einen einzigen Wimpernschlag komprimiert. Ein Teenager wurde erwachsen und erblühte vor seinen Augen zu einer schönen Frau - alles in einer Zehntelsekunde. Garber, der Name auf dem Briefkasten. Leon Garber, viele Jahre lang sein Kommandeur. Er erinnerte sich an die Anfänge ihrer gemeinsamen Zeit, wie sie sich auf den Philippinen bei Grillfesten an feuchtheißen Abenden kennen gelernt hatten. Ein gertenschlankes Mädchen, das aus dem und in das einfache Haus auf dem Stützpunkt huschte, mit fünfzehn Jahren schon hinreißend attraktiv, aber doch noch Kind genug, um völlig tabu zu sein. Jodie, Garbers Tochter. Sein einziges Kind. Das Licht seines Lebens. Dies war Jodie Garber, fünfzehn Jahre später, erwachsen und schön, die jetzt am Fuß der Betontreppe stand.
    Er sah nochmals zu den Gästen, dann ging er die Treppe hinunter.
    »Hallo, Reacher«, wiederholte sie.
    Ihre Stimme klang leise und angespannt. Traurig wie die ganze Szene hinter ihr.
    »Hallo, Jodie«, sagte er.
    Dann wollte er fragen: Wer ist gestorben? Aber er konnte die Frage nicht so formulieren, dass sie weder herzlos noch dumm klang. Sie sah, wie er sich abmühte, und nickte.
    »Dad«, sagte sie einfach.
    »Wann?«, fragte er.
    »Vor fünf Tagen«, erwiderte sie. »Er war in den letzten Monaten ziemlich krank, aber sein Tod ist trotzdem überraschend gekommen.«
    Er nickte langsam.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er.
    Er blickte zum Fluss hinüber, und die vielen Gesichter vor ihm verwandelten sich in Gesichter Leon Garbers. Ein kleiner, stämmiger, eisenharter Mann. Mit breitem Lächeln, gleichgültig, ob er glücklich, zornig oder in Gefahr war. Ein tapferer Mann, körperlich und geistig. Grundehrlich, fair, einfühlsam. Reachers großes Vorbild in den für seine Charakterbildung entscheidenden Jahren. Sein Mentor und sein Förderer. Sein Beschützer. Garber hatte sich seinetwegen exponiert und ihn binnen achtzehn Monaten zweimal befördert, wonach Reacher der jüngste Major in Friedenszeiten war. Dann hatte er seine Arme ausgebreitet und lächelnd abgestritten, irgendetwas zu Reachers weiteren Erfolgen beigetragen zu haben.
    »Das tut mir sehr leid, Jodie.«
    Sie nickte.
    »Ich kann’s nicht glauben«, sagte er. »Ich begreif’s einfach nicht. Ich hab ihn vor weniger als einem Jahr gesehen. Damals war er gut in Form. Ist er krank geworden?«
    Sie nickte erneut, noch immer schweigend.
    »Aber er war immer so eisenhart.«
    Sie nickte traurig. »Ja, das war er, nicht? Immer so eisenhart.«
    »Und nicht alt«, sagte er.
    »Vierundsechzig.«
    »Was ist passiert?«
    »Sein Herz«, sagte sie. »Es hat zuletzt versagt. Weißt du noch, wie er immer vorgegeben hat, keines zu besitzen?«
    Reacher schüttelte den Kopf. »Das größte Herz, das man sich denken konnte.«
    »Das habe ich später erfahren«, sagte sie. »Nachdem Mom gestorben war, sind wir zehn Jahre lang die besten Freunde gewesen. Ich habe ihn geliebt.«
    »Ich auch«, sagte Reacher. »Als sei er mein Vater, nicht deiner.«
    Sie nickte wieder. »Er hat dauernd von dir gesprochen.«
    Reacher sah weg. Starrte zu den verschwommenen Umrissen der Gebäude von West Point hinüber. Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Er war jetzt in dem Alter, in dem ihm vertraute Menschen starben. Sein Vater, seine Mutter, sein Bruder waren tot. Und nun auch der Mann, der für ihn stets eine Art Ersatzvater gewesen war.
    »Vor einem halben Jahr hatte er einen Herzanfall«, erklärte Jodie. Ihr Blick trübte sich, und sie strich ihr langes glattes Haar hinter ein Ohr. »Er hat sich eigentlich ganz gut erholt und auch gut ausgesehen, aber in Wirklichkeit war sein Herz zu schwach. Die Ärzte haben an einen Bypass gedacht, aber sein Zustand hat sich rasch verschlechtert. Er hätte die Operation nicht überlebt.«
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er zum dritten Mal.
    Sie drehte sich an Reachers Seite zu den Gästen um und nahm seinen Arm.
    »Das braucht dir nicht Leid zu

Weitere Kostenlose Bücher