Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
als die Wagen davonfuhren. Diese Sache würde einfach werden. Mrs. Jacob stand schon bald allein traurig und verlassen auf dem Rasen. Dann der unerwartete Besuch. Vielleicht verspätete Trauergäste? Schließlich trugen sie dunkle Anzüge mit Krawatte. Was im Bankenviertel von Manhattan allgemein üblich war, passte auch für eine Beerdigung.
Reacher folgte den beiden letzten Gästen die Betontreppe hinauf. Der eine war ein Oberst, der andere ein Zweisternegeneral, beide in untadeliger Paradeuniform. Er hatte nichts anderes erwartet. Gab es irgendwo kostenlos zu essen und zu trinken, gingen die Soldaten immer als Letzte, Den Oberst kannte er nicht, aber der General kam ihm vage bekannt vor. Er hatte das Gefühl, der General kenne ihn ebenfalls, aber sie sprachen sich nicht an. Sie hatten beide keine Lust, sich auf lange und komplizierte Was-machen-Sie-jetzt-Erklärungen einzulassen.
Die Offiziere schüttelten Jodie sehr förmlich die Hand, dann nahmen sie Haltung an und salutierten zackig, was in dieser Umgebung ziemlich bizarr anmutete. Sie stiegen in den letzten Wagen, der noch vor der Garage stand: eine der grünen Limousinen, die dem Haus am nächsten stand. Als Erste gekommen, als Letzte gegangen. Friedenszeiten, kein Kalter Krieg mehr, den ganzen Tag nichts zu tun. Deshalb war Reacher froh gewesen, als die Army ihn hatte gehen lassen. Und während er beobachtete, wie der grüne Dienstwagen wendete und davonfuhr, wusste er, dass er allen Grund hatte, froh zu sein.
Jodie trat neben ihn, hakte sich wieder unter.
»So«, sagte sie halblaut. »Das wäre geschafft.«
Um sie herum herrschte wieder Stille, als das Geräusch der wegfahrenden Limousine verhallte.
»Wo ist er begraben?«, fragte Reacher.
»Auf dem städtischen Friedhof«, antwortete sie. »Er hätte sich natürlich in Arlington beisetzen lassen können, aber das wollte er nicht. Möchtest du sein Grab besuchen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, so was liegt mir nicht. Und für ihn macht’s keinen Unterschied mehr, oder? Er wusste, dass er mir fehlen würde - das habe ich ihm schon vor vielen Jahren gesagt.«
Sie nickte. Hing weiter an seinem Arm.
»Wir müssen über Costello reden«, sagte er nochmals.
»Wieso?«, fragte Jodie. »Er hat dir die Nachricht überbracht, stimmt’s?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, er hat mich gefunden, aber ich war misstrauisch. Ich habe behauptet, nicht Jack Reacher zu sein.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Aber weshalb?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Gewohnheit, nehme ich an. Ich wollte mich nicht in irgendwas hineinziehen lassen. Der Name Jacob hat mir nichts gesagt, deshalb habe ich den Kerl ignoriert. Mir hat mein ruhiges Leben dort unten gefallen.«
Jodie sah ihn weiter an.
»Wahrscheinlich hätte ich den Namen Garber verwenden sollen«, sagte sie. »Das Ganze war ohnehin Dads Angelegenheit, nicht meine. Aber ich habe Costello über die Firma engagiert und mir gar keine Gedanken wegen des Namens gemacht. Du hättest ihm zugehört, wenn er Garber gesagt hätte, nicht wahr?«
»Natürlich«, sagte er.
»Und du hättest dir keine Sorgen machen müssen, weil das keine große Sache war.«
»Können wir reingehen?«, fragte er.
Sie wirkte erneut überrascht. »Warum?«
»Weil das eine sehr große Sache war.«
Die beiden Kerle sahen, wie sie durch eine massive Tür aus mattbraunem Holz ins Haus gingen. Kurze Zeit später leuchtete hinter einem Fenster weit links vom Eingang ein Licht auf. Dort musste ein Wohn- oder Arbeitszimmer liegen, vermuteten sie, in dem es wegen des nahen Waldes so düster war, dass man selbst tagsüber Licht brauchte. Sie hockten auf dem feuchten Waldboden und warteten. In den Sonnenstrahlen ringsum tanzten Insekten. Sie wechselten einen Blick und horchten. Kein Laut.
Sie standen auf und arbeiteten sich bis zur Einfahrt vor. Rannten geduckt bis zur Garagenecke. Pressten sich an die Außenwand und schoben sich um die Ecke bis zu den Garagentoren vor und weiter in Richtung Haus. Sie zogen ihre Pistolen aus den Jackentaschen. Hielten die Waffen nach unten gerichtet, als sie einzeln zur Haustür spurteten. Dann kauerten sie sich rechts und links des Eingangs mit dem Rücken zur Hauswand auf den Boden und hielten ihre Pistolen schussbereit. Sie war durch diese Tür hineingegangen. Sie würde wieder herauskommen. Alles nur eine Frage der Zeit.
»Jemand hat ihn ermordet?«, wiederholte Jodie.
»Und vermutlich auch seine Sekretärin«, antwortete Reacher.
»Das kann ich nicht
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