Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
tun«, sagte sie. »Er war immer ein zufriedener Mensch. Und für ihn war es besser, dass alles so schnell gegangen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er als Invalide glücklich gewesen wäre.«
Er nickte unglücklich.
»Komm, ich will dich ein paar Leuten vorstellen«, sagte Jodie. »Vielleicht kennst du einige.«
»Dafür bin ich nicht angezogen«, gab er zu bedenken. »So fühle ich mich nicht wohl. Ich sollte lieber gehen.«
»Spielt keine Rolle«, meinte sie. »Glaubst du, Dad würde das stören?«
Er sah Garber in seiner verknitterten Khakiuniform und seiner verknautschten Mütze vor sich. In den dreizehn Jahren als Reachers Kommandeur war er der am schlechtesten gekleidete Offizier der U. S. Army gewesen. Er musste unwillkürlich lächeln.
»Ihm wär’s egal, denke ich«, sagte er.
Sie führte ihn über den Rasen. Von den hundert Anwesenden kannte er nur ein paar. Einige der Uniformierten kamen ihm vage bekannt vor. Mit einigen der Männer in Anzügen hatte er in einem anderen Leben hier und da zusammengearbeitet. Er schüttelte Dutzenden von Leuten die Hand und versuchte, sich ihre Namen zu merken, aber das gelang ihm nicht. Unterdessen gingen die halblauten Gespräche und das Essen und Trinken weiter. Die kleine Sensation, die sein Auftauchen bewirkt hatte, flaute langsam ab und wurde vergessen. Jodie hatte seinen Arm nicht losgelassen. Ihre Hand auf seiner Haut war kühl.
»Ich suche jemanden«, sagte er. »Deswegen bin ich eigentlich hier.«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Mrs. Jacob, stimmt’s?«
Er nickte.
»Ist sie hier?«, fragte er.
»Ich bin Mrs. Jacob«, antwortete sie.
Die beiden Typen in dem schwarzen Tahoe stießen rückwärts aus der Wagenschlange und achteten darauf, unter den Stromleitungen herauszukommen, damit das Autotelefon störungsfrei funktionierte. Als der Fahrer eine Kurzwahlnummer eintippte, füllte der Wählton das Fahrzeuginnere. Dann wurde der Anruf sechzig Meilen weiter südlich und siebenundachtzig Stockwerke über dem Erdboden beantwortet.
»Probleme, Boss«, sagte der Fahrer. »Hier findet eine Art Totenwache statt, eine Beerdigung, irgendwas in dieser Art. Da laufen bestimmt hundert Leute rum. Wir haben keine Chance, uns diese Mrs. Jacob zu schnappen. Wir wissen nicht mal, welche es ist. Hier gibt es eine Menge Frauen, es könnte jede von ihnen sein.«
Aus dem Lautsprecher drang ein Grunzen. »Und?«
»Der Kerl aus der Bar auf den Keys? Der ist gerade mit ’nem gottverdammten Taxi angekommen. Ist ungefähr zehn Minuten nach uns aufgekreuzt und gleich reingegangen.«
Der Lautsprecher knackte. Keine erkennbare Antwort.
»Was sollen wir also machen?«, fragte der Fahrer.
»Bleibt dran«, sagte Hobies Stimme. »Versteckt den Wagen irgendwo und lasst euch nicht blicken. Wartet, bis alle gegangen sind. Meines Wissens gehört das Haus ihr. Vielleicht wohnt sie dort, vielleicht ist’s ihr Wochenendhaus. Wenn alle wegfahren, ist sie die Frau, die dableibt. Kommt ja nicht ohne sie zurück, okay?«
»Was machen wir mit dem großen Kerl?«
»Geht er auch, lasst ihr ihn laufen. Bleibt er, erledigt ihr ihn. Aber bringt mir diese Jacob.«
»Du bist Mrs. Jacob?«, fragte Reacher.
Jodie Garber nickte.
»Bin, war«, sagte sie. »Ich bin geschieden, aber ich benutze den Namen beruflich weiter.«
»Wer war er?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ein Rechtsanwalt wie ich. Damals fand ich das eine gute Idee.«
»Wie lange?«
»Drei Jahre insgesamt. Wir haben uns auf der Law School kennen gelernt, haben geheiratet, sobald wir Jobs hatten. Ich bin an der Wall Street geblieben, aber er ist vor ein paar Jahren zu einer Washingtoner Anwaltsfirma gegangen. Das hat unserer Ehe den Rest gegeben, sie ist einfach irgendwie versandet. Als wir letztes Jahr im Herbst geschieden wurden, konnte ich mich kaum noch an ihn erinnern. Nur an seinen Namen: Alan Jacob.«
Reacher stand auf dem sonnigen Rasen und sah sie an. Es machte ihn betroffen, dass Jodie verheiratet gewesen war. Mit fünfzehn ein spindeldürres, aber hinreißendes Mädchen, war sie selbstbewusst und zugleich mädchenhaft schüchtern gewesen. Er hatte den Kampf zwischen ihrer Schüchternheit und ihrer Neugier beobachtet, als sie dasaß und ihren ganzen Mut zusammennahm, um mit ihm über Leben und Tod und Gut und Böse zu diskutieren. Dann rutschte sie unruhig herum, schlug ihre knochigen Beine unter und brachte das Gespräch auf Liebe und Sex und Männer und Frauen. Zuletzt wurde sie rot und verschwand. Er
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