Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Norden bis zu der großen Fernstraße zu fahren, die seiner Erinnerung nach den Fluss nach Westen in Richtung Newburgh überquerte. Bog er kurz vor dem Hudson River von dieser Straße ab, musste er Brighton von Norden erreichen. Dann brauchte er nur noch die Adresse zu finden, was schwierig werden konnte.
Aber es war ganz einfach, denn die Straße, auf der er von der großen Ost-West-Verbindung kommend nach Brighton hineinfuhr, trug denselben Namen wie die in der Adresse des alten Ehepaars angegebene. Reacher fuhr langsam nach Süden weiter und hielt Ausschau nach Briefkästen und Hausnummern. Die Briefkästen waren in Abständen von einigen hundert Metern zu Sechsergruppen zusammengefasst, die keine Verbindung zu den jeweiligen Häusern erkennen ließen. Tatsächlich waren überhaupt nur sehr wenige Häuser zu sehen. Zu allen schienen kleine, mit Kies bestreute oder schlecht asphaltierte Zufahrten zu führen, die links und rechts wie Tunnels in den Wald abzweigten.
Reacher fand den richtigen Briefkasten. Er war auf einem Holzpfosten montiert, den Wind und Wetter verrotten und allmählich nach vorn kippen ließen. Kräftige grüne Schlinggewächse und Dornenranken umwucherten ihn, als wollten sie ihn stützen. Der große Metallkasten war mattgrün gestrichen und trug auf den Seiten in verblasster, aber tadelloser Handschrift die Hausnummer. Seine Klappe stand offen, weil er von Post überquoll. Reacher nahm sie heraus und legte sie neben sich auf den Beifahrersitz. Drückte die Klappe wieder zu und las darauf einen verblassten Namen in der gleichen sauberen Schrift: Hobie.
Um dem Zusteller Arbeit zu ersparen, befanden sich alle Briefkästen auf der rechten Straßenseite, aber die Einfahrten zweigten links und rechts von der Straße ab. Von den Briefkästen aus waren vier zu sehen: zwei links und zwei rechts. Reacher entschied sich für die erste, die nach rechts in Richtung Fluss führte.
Das war die falsche Zufahrt. Dort unten lagen zwei Häuser. Eines davon hatte an beiden Torsäulen ein Namensschild: Kozinsky. Vor dem anderen stand ein knallroter Pontiac Firebird unter einem neuen Basketballring im Giebelfeld der Garage. Auf dem Rasen dahinter lagen zwei Kinderfahrräder. Das alles ließ nicht gerade darauf schließen, dass in diesem Haus ein altes, gebrechliches Ehepaar lebte.
Auch die erste Zufahrt links führte nicht zum Ziel. Das richtige Haus fand er am Ende der zweiten Zufahrt links, die, halb zugewachsen, parallel zum Fluss nach Süden verlief. Am Tor stand ein verrosteter alter Briefkasten aus der Zeit, als der Zusteller noch ans Haus gekommen war. Ebenfalls mattgrün, aber schon ziemlich verblichen. Mit demselben Namen in geisterhaft verblasster Schrift: Hobie. Darüber eine Stromleitung und ein Telefonkabel, von dem Ranken herabhingen. Reacher lenkte den Taurus in die Einfahrt, auf der sein Wagen von Büschen gestreift wurde, und hielt hinter einem alten Chevy, der schräg auf einem Stellplatz stand. Die alte Limousine war riesig - Motorhaube und Kofferraum glichen Flugdecks - und nahm bereits den stumpfen Braunton an, den alle ungepflegten alten Wagen aufweisen.
Reacher stellte den Motor ab, nahm den Stapel Post vom Nebensitz und stieg aus. Das Haus war ein niedriger Bungalow, der sich vor ihm nach Westen in Richtung Fluss erstreckte. Sein Schindeldach und die Holzverkleidung hatten denselben Braunton angenommen wie der alte Wagen. Der verwahrloste Garten vor dem Haus war völlig überwuchert. Der breite Weg, der vom Autostellplatz zur Haustür geführt hatte, war jetzt mit Büschen zugewachsen und schmal wie ein Pfad. Hier würde ein Trupp mit Flammenwerfern mehr ausrichten als ein halbes Dutzend Gärtner, dachte Reacher.
Er erreichte die Haustür durch knöchelhohes Gebüsch. Der Klingelknopf war eingerostet. Reacher klopfte ans Holz der alten Haustür und wartete. Keine Reaktion. Er klopfte erneut. Hinter sich konnte er das Sirren von Insekten hören. Der Taurus knackte, als der Motor abkühlte. Reacher klopfte erneut. Wartete. Dieses Mal knarrten im Haus Bodendielen. Dann hörte er näher kommende Schritte und eine dünne Frauenstimme.
»Wer ist da?«
»Reacher«, antwortete er. »General Garbers Freund.«
Seine Stimme war laut und kräftig. Ein Schloss wurde aufgesperrt und Riegel zurückgezogen. Die Haustür ging knarrend auf. Dahinter ungewisses Halbdunkel. Reacher trat in den Schatten des Dachvorsprungs und sah eine alte Frau: ungefähr achtzig, spindeldürr, weißhaarig und von der
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