Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
denken: Das meinen die Leute also, wenn sie von Metallgrau reden.
»Herkommen!«, befahl der Mann.
Marilyn war wie gelähmt. Ihre Hände bedeckten den Mund, und ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass sie fürchtete, ihre Gesichtshaut könnte reißen.
»Herkommen!«, wiederholte der Mann.
Sie starrte auf Sheryl hinunter, die sich auf den Bauch gewälzt hatte und sich auf ihren Ellbogen aufzurichten versuchte. Sie schielte und hatte starkes Nasenbluten. Ihre Oberlippe begann anzuschwellen, und von ihrem Kinn tropfte Blut. Ihr Rock war so weit hochgerutscht, dass Marilyn sehen konnte, wo ihre Strumpfhose in den blickdichten Teil überging. Sie atmete keuchend. Dann gaben ihre Ellbogen wieder nach, und sie rutschte mit gespreizten Knien nach vorn. Ihr Kopf knallte mit einem dumpfen Schlag auf den Teppichboden und rollte zur Seite.
»Herkommen!«, befahl der Mann noch einmal.
Marilyn starrte sein Gesicht an. Es war völlig unbeweglich. Die Narben sahen wie harter Kunststoff aus. Ein Auge lag unter einem Lid, das dick und grob wie Schwielen zu sein schien. Das andere musterte sie kalt und ohne zu blinzeln. Sie fixierte die Pistole. Die kaum einen halben Meter von ihrer Brust entfernte Waffe bewegte sich nicht. Die Hand, die sie hielt, war glatt und gepflegt. Die Fingernägel waren manikürt. Marilyn trat einen winzigen Schritt vor.
»Näher.«
Sie schob ihre Füße vor, bis die Mündung der Pistole ihr Kleid berührte. Durch die dünne Seide hindurch konnte sie die Härte und Kälte des grauen Metalls spüren.
»Näher.«
Sie starrte ihn an. Sein Gesicht befand sich nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Die Haut links war grau und von Runzeln durchzogen, das gesunde Auge von Fältchen umgeben. Das rechte Auge blinzelte. Sein Lid bewegte sich langsam und schwerfällig. Es senkte und hob sich dann wieder - bedächtig, wie eine Maschine. Sie lehnte sich etwas weiter vor. Die Pistolenmündung drückte gegen ihre Brust.
»Näher.«
Marilyn bewegte die Füße. Er erhöhte den Druck auf die Waffe. Das Metall presste sich in ihr weiches Fleisch, bohrte sich in ihre Brust. In der Seide bildete sich ein tiefer Krater. Es tat ihr weh. Der Mann hob seinen rechten Arm, den mit dem Haken. Er hielt ihn ihr vor die Augen. Der Haken bestand aus blank poliertem Stahl. Der Mann drehte ihn mit einer unbeholfenen Bewegung seines rechten Unterarms. Sie hörte in seinem Ärmel Leder knarren. Der Haken lief vorn spitz aus. Er drehte die Spitze weg und legte den flachen Teil der Rundung an ihre Stirn. Sie zuckte zusammen. Der Stahl war kalt. Er ließ ihn über Stirn und Nase tiefer gleiten. Drückte ihn gegen ihre Oberlippe. Presste ihn gegen ihren Mund, bis er sich öffnete. Tippte leicht an ihre Vorderzähne. Der Haken verfing sich an der Unterlippe, weil sie trocken war. Der Mann zog ihre Lippe mit dem Stahl herab. Er fuhr mit dem Haken über ihr Kinn und von dort aus zu ihrer Kehle. Dann wieder hinauf, bis er unter Marilyns Unterkiefer zu liegen kam. Er zwang sie durch die Kraft seiner Schulter, den Kopf zu heben, und starrte ihr in die Augen.
»Mein Name ist Hobie«, sagte er.
Sie stand auf Zehenspitzen, um den Druck auf ihre Kehle zu verringern, und begann zu würgen. Sie konnte sich nicht erinnern, Atem geholt zu haben, seit sie die Haustür geöffnet hatte.
»Hat Chester Ihnen von mir erzählt?«
Marilyns Kopf wurde nach hinten gedrückt. Sie starrte die Decke an. Die Pistolenmündung bohrte sich weiter in ihre Brust. Sie war nicht mehr kalt. Die Hitze ihres Körpers hatte sie angewärmt. Sie schüttelte den Kopf - eine kleine hastige Bewegung, die durch den Druck des Hakens begrenzt wurde.
»Er hat Ihnen nicht von mir erzählt?«
»Nein«, keuchte sie. »Wieso? Hätte er’s tun sollen?«
»Ist er ein verschlossener Mann?«
Sie schüttelte nochmals den Kopf. Wieder diese hastige kleine Bewegung, bei der die Haut unter ihrem Kinn sich an dem blanken Stahl rieb.
»Hat er Ihnen von seinen finanziellen Problemen erzählt?«
Sie blinzelte. Schüttelte erneut den Kopf.
»Dann ist er also verschlossen.«
»Schon möglich«, keuchte sie. »Aber ich hab’s trotzdem gewusst.«
»Hat er eine Freundin?«
Sie blinzelte wieder. Schüttelte den Kopf.
»Wie wollen Sie das wissen?«, fragte Hobie. »Wenn er doch verschlossen ist?«
»Was wollen Sie?«, keuchte Marilyn.
»Aber er braucht keine Freundin, denke ich. Sie sind eine sehr schöne Frau.«
Sie blinzelte, stand auf Zehenspitzen. Die Absätze ihrer
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