Jack Reacher 09: Sniper
wurde. Reacher glaubte zu spüren, wie er versuchte, den Widerstand der Bremsen zu überwinden. Sie blickte nach unten, bewegte den rechten Arm und brachte den Schalthebel in Parkstellung. Der Mustang rollte fünfzehn Zentimeter zurück und kam zum Stehen. Reacher bewegte sich seitwärts, um auf Höhe des Fahrerfensters zu bleiben. Yanni drehte den Kopf nach links und sah ihm ins Gesicht.
»Also, erzählen Sie mir die Story«, sagte sie. »Erzählen Sie mir die Wahrheit.«
Er erzählte ihr die Story – und die Wahrheit. Um nicht bedrohlich zu wirken, saß er mit untergeschlagenen Beinen auf dem Betonboden. Er ließ nichts aus. Er beschrieb alle Ereignisse, alle Störversuche, alle Theorien, alle Vermutungen. Zuletzt hörte er einfach zu reden auf und wartete ihre Reaktion ab.
»Wo waren Sie, als das Mädchen ermordet wurde?«, fragte sie.
»In meinem Bett im Motor Court.«
»Allein?«
»Die ganze Nacht lang. Zimmer acht. Ich habe sehr gut geschlafen.«
»Kein Alibi.«
»Man hat nie ein Alibi, wenn man eines braucht. Das ist ein Naturgesetz.«
Sie musterte ihn prüfend.
»Was soll ich für Sie tun?«
»Ich möchte, dass Sie das Vorleben der Opfer recherchieren lassen.«
Sie überlegte.
»Das könnten wir tun«, sagte sie. »Dafür haben wir unsere Leute.«
»Nicht gut genug«, widersprach Reacher. »Ich möchte, dass Sie einen Mann namens Franklin engagieren. Helen Rodin kann Ihnen Näheres über ihn sagen. Sie hat ihr Büro in diesem Gebäude, zwei Stockwerke über Ihnen.«
»Warum hat sie Franklin nicht selbst engagiert?«
»Weil sie ihn sich nicht leisten kann. Sie dagegen schon. Ich setze voraus, dass Sie ein Budget haben. Eine Woche von Franklins Zeit kostet wahrscheinlich weniger als ein Haarschnitt ihres Wettermanns.«
»Und dann?«
»Dann fügen wir alles zusammen.«
»Wie groß ist diese Sache?«
»Es hat Pulitzer-Format. Emmy-Format. Neuer-Job-Format.«
»Woher wollen Sie das wissen? Sie sind nicht in der Branche.«
»Ich war in der Army. Diese Sache ist meines Erachtens einen Bronze Star wert. Das ist nur eine ungefähre Entsprechung. Jedenfalls weit besser, als einen spitzen Stock ins Auge zu bekommen.«
»Ich weiß nicht recht«, meinte sie. »Ich sollte Sie besser der Polizei übergeben.«
»Das wird Ihnen nicht gelingen«, sagte er. »Sobald Sie nach Ihrem Handy greifen, spurte ich die Rampe hinauf. Die Cops finden mich nicht. Sie haben’s schon den ganzen Tag versucht.«
»Aus Preisen mache ich mir eigentlich nicht viel«, erklärte sie.
»Dann tun Sie’s aus Spaß«, sagte er. »Aus professioneller Befriedigung.«
Er zog die Serviette mit Helen Rodins Handynummer aus seiner Hüfttasche. Hielt sie mit der Kante voraus an den Fensterspalt. Yanni griff zögernd danach und war sichtlich bemüht, nicht mit seinen Fingern in Berührung zu kommen.
»Rufen Sie Helen an«, sagte Reacher. »Gleich jetzt. Sie wird sich für mich verbürgen.«
Yanni nahm ein Handy aus ihrer Umhängetasche und schaltete es ein. Sah auf das Display, wartete, bis sie telefonieren konnte, und tippte die Nummer ein. Sie gab ihm die Serviette wieder zurück. Behielt dabei das Handy am Ohr.
»Helen Rodin?«, sagte sie. Dann fuhr sie das Fenster ganz nach oben, sodass Reacher nicht hören konnte, was gesprochen wurde. Er vertraute darauf, dass sie tatsächlich mit Helen redete. Andererseits war es möglich, dass sie auf die Serviette geblickt und eine völlig andere Nummer gewählt hatte. Nicht die 911, denn sie hatte zehn Ziffern eingetippt. Aber sie konnte den Wachhabenden der Polizeistation angerufen haben. Als Reporterin wusste sie diese Nummer vermutlich auswendig.
Aber am Apparat war tatsächlich Helen Rodin. Yanni fuhr das Fenster wieder ein Stück herunter und reichte ihm ihr Handy hinaus.
»Macht sie wirklich mit?«, fragte Helen ihn.
»Ich glaube nicht, dass sie sich schon entschieden hat«, antwortete Reacher. »Aber vielleicht klappt’s doch.«
»Ist das eine gute Idee?«
»Sie hat die nötigen Ressourcen. Und uns kann’s nur nützen, wenn die Medien uns den Rücken freihalten.«
»Okay, geben Sie sie mir wieder.«
Reacher gab das Handy durchs Fenster zurück. Diesmal ließ Yanni es offen, so dass Reacher mithören konnte, was sie sagte. Ihr Tonfall klang anfangs skeptisch, dann neutral und zuletzt halbwegs überzeugt. Sie erklärte sich bereit, gleich am nächsten Morgen in den dritten Stock hinaufzukommen. Danach klappte sie das Handy zu.
»Vor ihrer Tür ist ein Cop postiert«,
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