Jack Reacher 09: Sniper
schaute auf seine Uhr. Er war eine halbe Stunde zu früh dran. Auf der anderen Straßenseite stand ein Schnellimbiss in einem Aluminiumtrailer am Rand des Parkplatzes. Er fuhr hinüber und stellte den Mustang gleich vor dem Eingang ab. Er war hungrig. Das Steak im Marriott schien eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Er frühstückte gemächlich und ausgiebig an einem Fenstertisch und beobachtete die Szene auf der anderen Straßenseite. Kurz vor acht warteten drei Pick-ups darauf, auf den Schießplatz fahren zu können. Um fünf nach acht kam ein Kerl mit einem schwarzen Diesel-Humvee, zuckte wegen seiner Verspätung entschuldigend mit den Schultern und schloss das Tor auf. Er trat zur Seite und ließ seine Kunden zuerst hineinfahren. Dann stieg er wieder in seinen Wagen und folgte ihnen. An der Tür der Hütte mit seinem Büro wiederholte er die entschuldigende Geste, bevor alle vier Männer nach drinnen verschwanden. Reacher ließ sich noch mal Kaffee nachschenken. Er würde warten, bis der Kerl den morgendlichen Andrang bewältigt hatte, und dann hinüberschlendern. Und der Kaffee war gut. Zu gut, als dass er darauf hätte verzichten wollen. Er war frisch aufgebrüht, heiß und sehr stark.
Ab zwanzig nach acht hörte er Gewehrschüsse. Sie klangen wie dumpfe Trommelschläge und waren durch Entfernung, Wind und Erdwälle ihrer Wucht und Wirkung beraubt. Seiner Schätzung nach waren die Gewehre etwa zweihundert Meter entfernt und schossen nach Westen. Die Schüsse fielen langsam und gleichmäßig, was auf ernst zu nehmende Schützen schließen ließ, die auf die inneren Ringe zielten. Dann war eine Serie von leichteren Knallen zu vernehmen, als jemand mit einem Revolver oder einer Pistole schoss. Er hörte sich die vertrauten Geräusche eine Zeit lang an, dann ließ er zwei Dollar Trinkgeld auf dem Tisch liegen und bezahlte an der Kasse zwölf Dollar. Ging hinaus, setzte sich in den Mustang, fuhr über den Parkplatz und die leichte Wölbung der Straße und geradewegs durchs offene Tor des Schießplatzes.
Er traf den Humvee-Mann hinter einer hüfthohen Theke in der Bürohütte an. Aus der Nähe wirkte er etwas älter als aus der Ferne. Über fünfzig, aber unter sechzig, schütteres graues Haar, Falten im Gesicht, aber bolzengerade Haltung. Er hatte einen Stiernacken und die Art Blick, der ihn als ehemaligen Unteroffizier im Marine Corps auswies, noch bevor man die Tätowierungen an seinen Armen und die Souvenirs an der Wand hinter ihm sah. Die Tätowierungen waren alt und verblasst, und die Souvenirs bestanden hauptsächlich aus Wimpeln und Aufnähern. Aber das Prunkstück in der Mitte war eine hinter Glas gerahmte vergilbende Zielscheibe aus Papier. Sie wies eine dicht geschlossene Fünfergruppe von 0,308-Treffern im inneren Ring auf, während ein sechster ihn eben noch berührte.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann. Er sah an Reacher vorbei aus dem Fenster, begutachtete den Mustang.
»Ich bin gekommen, um alle Ihre Probleme zu lösen«, sagte Reacher.
»Wirklich?«
»Nein, nicht wirklich. Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
Der Kerl zog die Augenbrauen hoch. »Wegen James Barr?«
»Erraten.«
»Nein.«
»Nein?«
»Ich rede nicht mit Reportern.«
»Ich bin kein Reporter.«
»Dort draußen steht ein Mustang mit Fünflitermotor und einer Menge Extras. Also ist er kein Cop Car oder ein Leihwagen. Und er ist in Indiana zugelassen. Und er hat einen NBC-Aufkleber an der Windschutzscheibe. Deshalb vermute ich, dass Sie ein Reporter sind, der hinter einer Fernsehstory her ist, wie James Barr bei mir trainiert und sich auf seine Tat vorbereitet hat.«
»Hat er das?«
»Ich sag Ihnen doch, dass ich nicht darüber reden will.«
»Aber Barr war manchmal hier, stimmt’s?«
»Ich rede nicht«, sagte der Kerl wieder. In seiner Stimme lag keine Böswilligkeit. Nur Entschlossenheit. Keine Feindseligkeit. Nur Selbstbewusstsein. Er redete nicht. Ende der Durchsage. In der Hütte wurde es still. Nichts zu hören außer entfernten Schüssen und einem leisen Rattern aus einem Nebenraum. Vielleicht von einem Kühlschrank.
»Ich bin kein Reporter«, wiederholte Reacher. »Ich habe mir den Wagen einer Reporterin geliehen, das ist alles.«
»Was sind Sie also?«
»Nur jemand, der James Barr vor vielen Jahren gekannt hat. Mich interessiert sein Freund Charlie. Ich glaube, dass der ihn auf Abwege gebracht hat.«
Der Kerl fragte nicht: Welcher Freund? Er fragte nicht: Wer ist Charlie? Er schüttelte
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