Jack Reacher 09: Sniper
haben – oder auch nicht. Das ließ sich nicht eindeutig feststellen. Bellantonio schrieb alles auf, aber er wusste, dass Emerson in dieser Sache nichts unternehmen würde. Der einzige Angriffspunkt wäre der Anruf bei Helen Rodin gewesen, aber Emerson würde auf keinen Fall eine Verteidigerin wegen eines Gesprächs mit einem Zeugen belästigen, selbst wenn dieser unter Mordverdacht stand. Das wäre verlorene Liebesmüh gewesen.
Also machte er mit den Überwachungsvideos weiter. Er hatte Aufnahmen, die sechsundneunzig Stunden – vier Tage weit – zurückreichten, und seine Mitarbeiter hatten die fast dreitausend Fahrzeugbewegungen genau katalogisiert. Nur drei davon waren Cadillacs gewesen. Das Kaufverhalten der Einwohner Indianas entsprach dem des gesamten Mittleren Westens: die Leute erwarben bevorzugt Pick-ups, dann Geländewagen, dann Coupés, dann Roadster. Normale Limousinen, die einen winzigen Marktanteil hatten, waren überwiegend Toyotas, Hondas oder einheimische Mittelklassewagen. Große Straßenkreuzer sah man sehr selten und teure Luxuskarossen noch seltener.
Der erste Cadillac auf den Videobändern war ein cremeweißer Eldorado. Ein zweitüriges Coupé, einige Jahre alt. Der Wagen war am Mittwochmorgen vor zehn Uhr geparkt worden und hatte dort fünf Stunden gestanden. Der zweite Cadillac auf Band war ein neuer STS, vielleicht rot oder grau, vielleicht hellblau. Das konnte man auf den verschwommenen Schwarzweißbildern nicht feststellen. Jedenfalls war er am Donnerstag kurz nach Mittag ins Parkhaus gefahren und hatte es nach knapp zwei Stunden wieder verlassen.
Der dritte Cadillac war ein schwarzer De Ville. Er hatte am Morgen des bewussten Freitags – jenes Schwarzen Freitags, wie Bellantonio ihn nannte – um kurz nach sechs Uhr das Parkhaus aufgesucht. Um diese Zeit würde es praktisch leer gewesen sein. Das Video zeigte, wie der Cadillac rasch die Einfahrtsrampe hinaufbrauste und wie er das Parkhaus nur vier Minuten später verließ.
Lange genug, um den Markierungskegel aufzustellen.
Auf beiden Videos war der Fahrer praktisch nicht zu erkennen. Er war nur eine graue schemenhafte Gestalt hinter der Windschutzscheibe. Das konnte Barr gewesen sein – oder auch nicht. Bellantonio schrieb alles für Emerson auf. Und er nahm sich vor, nachprüfen zu lassen, ob vier Minuten die kürzeste aufgezeichnete Verweildauer gewesen waren. Bestimmt mit weitem Abstand.
Dann überflog er die Ergebnisse der Spurensicherung in Alexandra Duprees Gartenwohnung. Weil dies nicht der Tatort gewesen war, hatte er einen weniger erfahrenen jüngeren Kollegen hingeschickt. Dort gab es nichts Interessantes. Überhaupt nichts – außer den Fingerabdrücken. Wie in allen Apartments hatte auch dort ein wildes Durcheinander aus Fingerabdrücken geherrscht. Die meisten stammten von der Ermordeten, aber es gab vier weitere Sätze von Abdrücken. Drei davon hatten sich nicht identifizieren lassen.
Der vierte Satz Fingerabdrücke gehörte James Barr.
James Barr war in Alexandra Duprees Wohnung gewesen. Im Wohnzimmer, in der Küche, auf der Toilette. Ganz ohne Zweifel. Klare Abdrücke, eindeutige Übereinstimmung. Unverkennbar.
Bellantonio schrieb Emerson auch das auf.
Dann las er den gerade hereingekommenen Autopsiebericht. Alexandra Dupree war durch einen einzigen Fausthieb eines Linkshänders gegen ihre rechte Schläfe getötet worden. Sie war auf Kiesboden mit organischen Stoffen wie Gras und Humus zusammengebrochen. Aufgefunden worden war sie jedoch in einer gepflasterten Durchfahrt. Folglich war die Leiche zumindest eine gewisse Strecke weit vom Tatort zum Auffindungsort transportiert worden.
Bellantonio nahm einen neuen Memovordruck und stellte Emerson zwei Fragen: Ist Reacher Linkshänder? Hatte er Zugang zu einem Fahrzeug?
Der Zec verbrachte die Morgenstunden damit, sich zu überlegen, was er mit Raskin tun sollte. Raskin hatte insgesamt dreimal versagt. Erst bei der ursprünglichen Observation, dann als er sich von hinten hatte angreifen, zuletzt als er sich das Handy hatte klauen lassen. Der Zec mochte keine Versager. Mochte sie überhaupt nicht. Erst dachte er daran, Raskin von der Straße abzuziehen und ihn nur noch in der Überwachungszentrale im Erdgeschoss der Villa Dienst tun zu lassen. Aber weshalb sollte er die Verantwortung für seine Sicherheit einem Versager anvertrauen?
Dann rief Linsky an. Sie hatten vierzehn Stunden lang ununterbrochen gesucht, aber keine Spur von dem Soldaten
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