Jack Reacher 09: Sniper
unsere Verbündeten und so weiter und so fort. Deshalb ist uns letztlich befohlen worden, die Straftaten der vier Toten zu vertuschen. Wir sollten die Story unterdrücken. Was wir getan haben. Leider bedeutete das auch, dass wir James Barr laufen lassen mussten. Weil es schon Andeutungen und Gerüchte gab, die sein Anwalt bestimmt ausgenützt hätte. Im Prinzip fürchteten wir eine Erpressung. Hätten wir Barr vor Gericht gebracht, hätte sein Anwalt behauptet, dies sei ein Akt gerechtfertigter Selbstjustiz gewesen. Er hätte gesagt, Barr sei auf seine schnörkellos direkte Weise für die Ehre der Army eingetreten. Vor Gericht wäre massenhaft schmutzige Wäsche gewaschen worden. Wir hatten Befehl, das nicht zu riskieren. Also waren uns die Hände gebunden. Es war eine Pattsituation.«
»Vielleicht war’s gerechtfertigte Selbstjustiz«, meinte Rosemary Barr. »Vielleicht hat James wirklich gewusst, wen er im Visier hatte.«
»Ma’am, er hat’s nicht gewusst. Tut mir sehr leid, aber er hatte keine Ahnung. Diese vier Kerle waren ihm völlig unbekannt. Er hat kein Wort über sie gesagt, als ich ihn verhaftet habe. Er war noch nicht lange in KC gewesen. Nicht lange genug, um zu wissen, was dort ablief. Er hat einfach nur vier Typen erschossen. Aus Spaß. Das hat er mir persönlich gestanden, bevor das ganze andere Zeug ans Tageslicht kam.«
Schweigen im Raum.
»Also haben wir den Fall vertuscht und James Barr ehrenhaft entlassen«, sagte Reacher. »Wir haben behauptet, seine vier Opfer seien von Palästinensern ermordet worden, was 1991 in Kuwait City plausibel war. Ich war wegen dieser Sache sauer. Dies stellte nicht die schlimmste Situation dar, die ich je erlebt hatte, aber auch keine sehr nette. Barr war mit unverschämt viel Glück einer Anklage wegen vierfachen Mordes entgangen. Also habe ich ihn vor seinem Heimflug aufgesucht und ermahnt, sich seines großen Glücks würdig zu erweisen, indem er sein ganzes restliches Leben lang nie mehr straffällig wurde. Ich habe ihm angedroht, wenn er’s jemals wieder täte, würde ich kommen, ihn aufspüren und dafür büßen lassen.«
Schweigen, das minutenlang anhielt.
»Hier bin ich also«, sagte Reacher.
»Diese Informationen sind bestimmt geheim«, sagte Helen Rodin. »Ich meine, sie können bestimmt nie verwendet werden. Das würde einen Riesenskandal geben.«
Reacher nickte. »Sie sind streng geheim. Die Akte ist im Pentagon vergraben. Deshalb habe ich vorhin gefragt, ob dieses Gespräch vertraulich ist.«
»Würden Sie darüber reden, bekämen Sie die größten Schwierigkeiten.«
»Das wäre nicht das erste Mal. Ich bin hergekommen, um zu erfahren, ob ich mich mal wieder in Schwierigkeiten begeben muss. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Ich denke, dass Ihr Vater James Barr auch ohne meine Hilfe lebenslänglich hinter Gitter bringen kann. Aber meine Hilfe steht ihm immer zur Verfügung, falls er sie braucht.«
Helen verstand plötzlich.
»Sie sind hier, um mich unter Druck zu setzen«, sagte sie. »Habe ich recht? Um mich zu warnen, dass Sie mich zu Fall bringen werden, wenn ich mir zu viel Mühe gebe.«
»Ich bin hier, um mein Versprechen zu halten«, sagte Reacher. »James Barr gegenüber.«
Er schloss die Tür und ließ drei schweigende und enttäuschte Menschen zurück. Dann fuhr er mit dem Aufzug hinunter. Im ersten Stock stieg wieder Ann Yanni zu. Er fragte sich, ob sie den ganzen Tag damit verbrachte, mit dem Aufzug zu fahren, weil sie hoffte, erkannt zu werden. Weil sie hoffte, um ein Autogramm gebeten zu werden. Er ignorierte sie. Stieg im Foyer mit ihr aus und marschierte in Richtung Ausgang davon.
Er blieb einen Augenblick auf der Plaza stehen. Überlegte. James Barrs kritischer Zustand machte alles komplizierter. Er wollte nicht hier herumhängen müssen, bis der Kerl wieder aufwachte. Falls es überhaupt dazu kam, konnte das Wochen dauern. Und Reacher war nicht der Typ, der gern irgendwo verweilte. Er war am liebsten unterwegs. Zwei Tage am selben Ort waren ungefähr sein Limit. Aber es schien keine Alternative zu geben. Alex Rodin gegenüber durfte er keine Andeutungen machen. Konnte ihm keine Telefonnummer für Notfälle geben. Schon deshalb nicht, weil er kein Handy besaß. Und weil ein so misstrauischer und vorsichtiger Mensch wie Alex Rodin jede Andeutung verfolgen würde, bis sich irgendetwas ergab. Die Verbindung zum Pentagon würde sich mühelos herstellen lassen. Reacher hatte sogar gefragt: Wo hat sie meinen Namen
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