Jack Reacher 09: Sniper
kam.
»Was wollen Sie also von mir wissen?«, fragte Mike schließlich.
»Sie waren Mr. Barrs Freund«, sagte Helen.
Mike sah zur offenen Wohnzimmertür.
»Bloß ein Nachbar«, sagte er.
»Seine Schwester hat Sie als einen Freund bezeichnet.«
»Wir waren gute Nachbarn. Manche Leute halten das vielleicht für Freundschaft.«
»Waren Sie manchmal zusammen?«
»Wir haben ein bisschen geschwatzt, wenn er mit seinem Hund vorbeigekommen ist.«
»Worüber denn?«
»Haus und Garten«, antwortete Mike. »Wollte er malern, hat er sich nach Farben erkundigt. Ich habe ihn gefragt, wer seine Einfahrt asphaltiert hat. Solche Sachen.«
»Baseball?«
Mike nickte. »Ja, auch darüber haben wir geredet.«
Tammy kam mit drei Kaffeetassen, Sahne, Zucker und einem kleinen Teller mit Plätzchen auf einem Tablett herein. Daneben lagen drei Papierservietten. Sie stellte das Tablett auf den Couchtisch und setzte sich neben ihren Mann.
»Bedienen Sie sich«, forderte sie Helen auf.
»Danke«, sagte Helen. »Vielen Dank.«
Als alle sich Tee und ein paar Kekse genommen hatten, herrschte wieder Schweigen.
»Sind Sie jemals in Mr. Barrs Haus gewesen?«, fragte Helen.
Mike sah zu seiner Frau hinüber.
»Ein- oder zweimal«, antwortete er.
»Sie waren keine Freunde«, erklärte Tammy.
»War’s denn eine Überraschung?«, fragte Helen. »Dass er das getan hat?«
»Ja«, sagte Tammy. »Es war eine.«
»Also braucht es Ihnen nicht peinlich zu sein, dass Sie mit ihm bekannt waren. Niemand hätte das vorhersehen können. Solche Dinge passieren immer überraschend. Die Nachbarn sind meist ahnungslos.«
»Sie versuchen, ihn freizubekommen.«
»Tatsächlich tu ich das nicht«, sagte Helen. »Aber es gibt eine neue Theorie, der zufolge er es nicht allein getan hat. Ich versuche nur, dafür zu sorgen, dass der andere Mann ebenfalls bestraft wird.«
»Mike war’s nicht«, sagte Tammy.
»Das glaube ich auch nicht«, stimmte Helen ihr zu. »Ehrlich nicht. Keine Sekunde lang. Nicht mehr, seit ich ihn gesehen habe. Aber vielleicht kennen Mike oder Sie diesen anderen Mann, haben von ihm gehört oder ihn sogar einmal zu Gesicht bekommen.«
»Barr hatte eigentlich keine Freunde«, sagte Mike.
»Gar keine?«
»Keine, über die er mit mir geredet hat. Er wohnte mit seiner Schwester zusammen, bis sie ausgezogen ist. Das hat ihm wohl genügt.«
»Sagt Ihnen der Name Charlie irgendetwas?«
Mike schüttelte den Kopf.
»Welchen Beruf hatte Mr. Barr, als er noch arbeitete?«
»Keine Ahnung«, sagte Mike. »Er hat seit Jahren nicht mehr gearbeitet.«
»Ich hab einen Mann bei ihm gesehen«, mischte sich Tammy ein.
»Wann?«
»Ab und zu. Gelegentlich. Er kam und ging. Zu jeder Tagesund Nachtzeit, wie’s nur Freunde tun.«
»Seit wann?«
»Seit wir hier eingezogen sind. Ich bin mehr zu Hause als Mike. Deshalb fällt mir so was auf.«
»Wann haben Sie diesen Mann zuletzt gesehen?«
»Vergangene Woche, glaub ich. Mehrmals.«
»Freitag?«
»Nein, früher. Vielleicht am Dienstag und Mittwoch.«
»Wie sieht er aus?«
»Er ist klein. Hat komisches Haar. Schwarz, wie Schweineborsten.«
Charlie , dachte Helen.
Eileen Hutton ging vom Marriott aus rasch drei Blocks weit nach Süden und betrat das Gerichtsgebäude genau eine Minute vor sechzehn Uhr.
Alex Rodins Sekretärin kam herunter, um sie in den zweiten Stock hinaufzugeleiten. Zu Protokoll gegebene Aussagen wurden in einem großen Konferenzraum aufgenommen, weil die meisten Zeugen ihre eigenen Anwälte und Protokollführer mitbrachten. Hutton war jedoch allein. Sie nahm an einer Längsseite des Konferenztisches Platz und lächelte, als vor ihr ein Mikrofon aufgestellt und eine Videokamera auf ihr Gesicht gerichtet wurde. Dann kam Rodin herein und stellte sich ihr vor. Er hatte ein kleines Team im Schlepptau: einen Assistenten, seine Sekretärin und eine Protokollführerin mit ihrer Maschine.
»Nennen Sie uns bitte fürs Protokoll Ihren vollen Namen und Ihren Dienstgrad?«, fragte er.
Hutton blickte in die Kamera.
»Eileen Ann Hutton«, antwortete sie. »Brigadegeneral, Korps des Chefs des Heeresjustizwesens, United States Army.«
»Diese Sache wird hoffentlich nicht lange dauern«, meinte Rodin.
»Bestimmt nicht«, sagte Hutton.
Und das tat sie auch nicht. Rodin fischte in trüben Gewässern. Er glich einem Mann in einem stockfinsteren Raum. Er konnte nur hoffen, zufällig auf etwas zu stoßen. Aber nach sechs Fragen wusste er, dass das nicht passieren würde.
Er fragte:
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