Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
haben zu sehr gepiekst.» Alexander Constantine Dobbens war wieder an seinem Arbeitsplatz. «Ich hab' mich ständig kratzen müssen.»
«Ja, als ich noch auf dem Drogentrip war, mußte ich das auch», bemerkte ein Zimmerkollege. «Wenn man jung ist, ist es eben anders.»
«Wenn du meinst, Opa!» Dobbens lachte. «Du alter verheirateter Gockel. Daß du unter der Fuchtel bist, bedeutet noch lange nicht, daß ich nur feuchte Träume haben darf.»
«Du solltest langsam wissen, wo du hingehörst, Alex.»
«Es gibt so viele interessante Dinge auf der Welt, und ich hab' sie noch nicht alle ausprobiert.» Noch lange nicht. Er war Außendienstingenieur bei der Baltimore Gas and Electric Company und machte gewöhnlich Nachtschicht. Wegen seiner Arbeit war er einen großen Teil der Zeit auf Achse, um Leitungen und Installationen zu prüfen und Montagecrews zu überwachen. Alex war ein patenter Junge, den es nicht störte, sich die Hände schmutzig zu machen, im Gegenteil, er genoß die körperliche Arbeit, für die sich viele Ingenieure zu gut sind. Ein Mann aus dem Volk, so nannte er sich manchmal. Seine gewerkschaftsfreundliche Haltung war für die Geschäftsleitung ein fortwährendes Ärgernis, aber er war ein guter Ingenieur, und daß er schwarz war, schadete auch nicht. Jemand, der gut und beliebt und schwarz war, war nachgerade ein Traumangestellter. Außerdem hatte er eine ganze Menge Leute gebracht, als das Unternehmen gesetzlich gezwungen wurde, mehr Angehörige von Minderheiten einzustellen, und es verdankte ihm ungefähr ein Dutzend erstklassiger Arbeiter. Einige von ihnen hatten zwar einen etwas suspekten Hintergrund, aber Alex hatte sie gebracht.
Während seiner Schicht war oft nicht viel los, und Alex besorgte sich wie gewöhnlich die Frühausgabe der Baltimore Sun. Der Fall war bereits von der ersten Seite in den Lokalteil gewandert. Das FBI und die Staatspolizei, las er, setzten die Ermittlungen fort. Er staunte immer noch, daß die Frau und das Kind überlebt hatten - das beweist, wie gut es ist, sich anzuschnallen, und natürlich die gute Arbeit der Porsche-Ingenieure, sagte er sich. Na ja, befand er, das ist schon in Ordnung. Ein kleines Mädchen und eine schwangere Frau umzubringen, war nicht gerade eine Heldentat. Sie hatten den Streifenpolizisten getötet, das reichte ihm. Daß die Bullen jedoch diesen Clark geschnappt hatten, wurmte ihn nach wie vor. Ich hab' dem blöden Kerl ja gesagt, daß der Mann dort zu exponiert wäre, aber nein, er wollte die ganze Familie auf einmal. Alex wußte, warum er es gewollt hatte, sah es aber als ein klassisches Beispiel für Eifer, der über Vernunft siegt. Diese verdammten Politologen, sie bilden sich ein, man könnte etwas geschehen machen, wenn man es sich nur sehnlich genug wünscht. Ingenieure wußten es besser.
Dobbens tröstete sich mit der Tatsache, daß alle gesichteten Verdächtigen weiß waren. Es war natürlich ein Fehler gewesen, dem Hubschrauber zuzuwinken. Herausforderndes Benehmen war fehl am Platze, wenn man sich revolutionär betätigte. Er hatte die Lektion gelernt, aber es hatte niemandem geschadet. Die Handschuhe und die Mütze hatten dafür gesorgt, daß die Schweine nichts hatten, das ihn identifizieren konnte. Das wirklich Schöne war, daß die Operation trotz der partiellen Mißerfolge ein Erfolg war. Der IRA- Bursche, dieser O'Soundso, war in Boston in die nächste Maschine gesetzt worden. Die Operation hatte wenigstens politisch Hand und Fuß gehabt. Und das, sagte er sich, ist das wahre Erfolgskriterium.
Erfolg bedeutete für ihn auch, sich seine Sporen abzuverdienen. Er und seine Genossen hatten einer anerkannten revolutionären Gruppe erstklassig Hilfestellung geleistet. Nun konnte er sich wegen finanzieller Unterstützung an seine afrikanischen Freunde wenden. Er betrachtete sie gar nicht als richtige Afrikaner, aber sie nannten sich gern so. Es gab Mittel und Wege, Amerika weh zu tun und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in einem Maß zu erregen, wie es noch keine revolutionäre Gruppe geschafft hatte. Wenn er beispielsweise in fünfzehn Bundesstaaten gleichzeitig das Licht abschalten könnte? Alex Dobbens wußte, wie das möglich war. Ein Revolutionär mußte wissen, wie man die Leute an ihrem Nerv treffen kann, und gab es eine bessere Methode, als ihnen das zu nehmen, was sie für selbstverständlich hielten? Wenn er demonstrieren konnte, daß die korrupte Regierung nicht mal in der Lage war, ihnen Strom für ihre Lampen und
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