Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Sie vorschlagen, ist natürlich eine Möglichkeit, aber nicht die beste. Wir haben schließlich eine ganze Menge Zeit. Wir haben noch mehrere Monate, ehe wir gezwungen sein könnten, etwas so Drastisches zu tun.»
«Jack, kommen Sie bitte», sagte Martin Cantor. «Und bitte keine Fragen.»
«Wie?» fragte Ryan und bekam als Antwort einen vorwurfsvollen Blick. «Schon gut, schon gut.» Er nahm die Akten, an denen er gearbeitet hatte, verschloß sie in seinem Aktenschrank und griff zu seinem Sakko. Cantor führte ihn um die Ecke zu den Fahrstühlen. Im Erdgeschoß angekommen, schritt er schnell zu dem Annex hinter dem Hauptgebäude. Dort passierten sie fünf Sicherheitskontrollen. Es war ein Rekord für Ryan, und er fragte sich, ob Cantor den Zugangscomputer hatte umprogrammieren müssen, um ihn hierherzubringen. Zehn Minuten später war er im dritten Stock in einem Raum, an dessen Tür eine Nummer angebracht war.
«Jack, das ist Jean-Claude, ein Kollege aus Frankreich.»
Ryan gab einem Herrn die Hand, der zwanzig Jahre älter sein mochte als er und ausgesprochen kultiviert wirkte.
«Professor Ryan», sagte der Fremde. «Wie ich höre, sind Sie der Mann, dem wir danken müssen.»
«Wofür ...» Ryan verstummte. Der Franzose führte ihn zu einem Fernsehschirm.
«Jack, Sie haben dies nie gesehen», sagte Martin, als ein Bild aufflimmerte. Ryan identifizierte es sofort an dem Aufnahmewinkel, der sich sehr langsam änderte.
«Wann?» fragte er.
«Gestern abend nach unserer Zeit. Gegen drei Uhr morgens Ortszeit.»
«So ist es.» Jean-Claude nickte, ohne den Blick vom Monitor zu wenden.
Das ist Lager 20, dachte Ryan. Das Ausbildungslager der Action Directe. Die Anordnung der Hütten kam ihm bekannt vor. Das Infrarotbild zeigte, daß drei der Hütten beheizt waren. Bei genauerem Hinsehen machte er undeutliche Gestalten aus, die durch den Sand liefen: Männer. Nach der Art, wie sie sich bewegten, waren es Soldaten. Er zählte acht, die in zwei gleich starke Gruppen geteilt waren. Bei einer der Hütten war ein helleres Licht. Dort schien jemand zu stehen. Um drei Uhr morgens, wenn die Körperfunktionen am schwächsten sind! Einer der Lagerposten rauchte während seines Wachdienstes, zweifellos, um wach zu bleiben. Ryan wußte, daß es ein Fehler war. Das Aufflammen des Streichholzes mußte ihn einen Moment lang geblendet haben. Na ja ...
«Jetzt», sagte Jean-Claude.
Von einem der acht Eindringlinge ging ein kurzer Blitz aus. Sonderbar, wenn man ihn sah, ohne etwas zu hören. Ryan konnte nicht erkennen, ob der Posten sich bewegte, aber seine Zigarette flog etwa zwei Meter weit fort, und danach waren beide unbeweglich. Ein Treffer, sagte er sich. Großer Gott, was sehe ich da? Die acht verschwommenen Gestalten umzingelten das Lager und näherten sich den Hütten. Als erstes betraten sie die Wachhütte - es war immer die gleiche. Einen Augenblick später waren sie wieder draußen. Dann teilten sie sich wieder in zwei Vierergruppen. Eine ging zu der zweiten beheizten Hütte, die andere zur dritten.
«Wer sind die Truppen?» fragte Jack.
«Fallschirmjäger», antwortete Jean-Claude kurz.
Einige Männer erschienen etwa dreißig Sekunden später wieder. Eine Minute danach kam der Rest - nein, es kamen mehr, als hineingegangen waren, sah Ryan. Zwei trugen irgend etwas. Dann kam etwas Neues ins Bild, ein intensiver Lichtschein, der alles ringsum verschwimmen ließ. Es war ein Hubschrauber, dessen Motoren die Infrarotaufzeichnung erglühen ließen. Die Aufnahmequalität verschlechterte sich, und die Kamera zoomte zurück. Zwei weitere Hubschrauber erschienen. Einer landete bei den Fahrzeugen, und die Jeeps wurden hineingefahren. Dann hob er wieder ab, und der andere Hubschrauber flog dicht über dem Boden dahin, folgte den Fahrzeugspuren einige Kilometer weit und verwischte sie mit seinem Luftzug. Als der Satellit sich von der Aufnahmezone zu entfernen begann, lag das Lager wieder vollkommen still da. Die ganze Übung hatte weniger als zehn Minuten gedauert.
«Schnell und perfekt», bemerkte Cantor anerkennend.
«Sie haben sie?» fragte Jack gespannt.
«Ja», antwortete Jean-Claude. «Und fünf andere, vier davon lebend. Wir haben sie alle mitgenommen, auch die Lagerposten, die den Abend leider nicht überlebt haben.» Das Bedauern des Franzosen war gespielt. Sein Gesicht zeigte, was er in Wahrheit fühlte.
«Ist jemand von Ihren Leuten verletzt worden?» fragte Cantor.
Ein amüsiertes Kopfschütteln. «Nein.
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