Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
nicht von dem losreißen, was er gesehen hatte. Achttausend Kilometer weiter wurde das Mädchen nun von französischen Geheimdienstlern befragt. Wenn dies ein Film wäre, würden sie zweifellos brutale Methoden anwenden. Was für Methoden sie im wirklichen Leben benutzten, wollte er gar nicht wissen. Er sagte sich, daß die Mitglieder der Action Directe es selbst heraufbeschworen hatten. Erstens hatten sie sich dafür entschieden, das zu werden, was sie waren. Zweitens hatten sie, als sie letztes Jahr ein ordentliches Gerichtsverfahren torpedierten, ihren Gegnern einen Vorwand geliefert, sie um ihre in der Verfassung garantierten Rechte zu bringen ..., aber war das wirklich eine Entschuldigung?
«Was Dad wohl dazu sagen würde?» murmelte er vor sich hin. Dann stellte er sich die nächste Frage. Er griff zum Hörer und tippte eine Nummer.
«Cantor.»
«Warum, Martin?»
«Warum was?»
«Warum haben Sie mir das gezeigt?»
«Jean-Claude wollte Sie kennenlernen, und außerdem wollte er Ihnen zeigen, was Ihre Daten ermöglicht haben.»
«Das ist doch Scheiße, Martin! Sie haben mir einen Echtzeit- Satellitenfilm gezeigt, das heißt, auf Videofilm, aber das ist praktisch dasselbe. Es kann nicht viele Leute geben, die einen Sicherheitsbescheid dafür haben. Ich brauche doch nicht zu wissen, was die Satelliten alles können! Sie hätten ihm einfach sagen können, daß mein Sicherheitsbescheid nicht ausreicht, und es wäre erledigt gewesen.»
«Meinetwegen, Sie haben genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Sagen Sie mir, was Sie glauben.»
«Es gefällt mir nicht.»
«Warum nicht?» fragte Cantor.
«Die Aktion war illegal.»
«Und wenn es ein anderes Lager gewesen wäre? Wenn die Fallschirmjäger uns oder den Briten eine Aufgabe abgenommen und Ihre Freunde von der ULA geschnappt hätten?»
«Das wäre etwas anderes!» fuhr Ryan ihn an. Warum eigentlich? fragte er sich dann stumm. «Daran bin ich persönlich beteiligt. Sie können nicht erwarten, daß ich darüber genauso denke.»
«Wirklich nicht?» sagte Cantor und legte auf.
Ryan starrte den Hörer einige Sekunden an, ehe er das gleiche tat. Was versuchte Martin ihm zu sagen? Er ließ die Ereignisse noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen, um eine sinnvolle Antwort zu finden.
Ergab denn irgend etwas von all dem einen Sinn? Machte es einen Sinn, wenn politische Dissidenten sich mit Bomben und Maschinengewehren ausdrückten? Machte es einen Sinn, wenn kleine Nationen den Terrorismus als Waffe einsetzten, um die Politik von größeren zu ändern? Ryan stöhnte. Es hing davon ab, auf welcher Seite man innerlich stand - das heißt, es gab zumindest Leute, die so dachten.
International gesehen, war Terrorismus eine Kriegsform, die nicht einmal die normalen diplomatischen Beziehungen unterbrechen mußte. Die USA selbst hatten Botschaften in einigen Ländern, die Terroristen unterstützten. Noch heute! Und die USA sowie die meisten westlichen Länder garantierten den Terroristen, die gefangengenommen wurden, einen fairen Prozeß! Es war unfaßlich. Terroristen konnten einen Krieg führen und wurden von den demokratischen Gesetzen ihres Gegners geschützt. Wenn diese Gesetze umgangen oder zu ihren Ungunsten geändert wurden, gewannen sie zusätzliche politische Unterstützung; solange sie aber nicht umgangen wurden, konnten sie praktisch nicht verlieren. Sie konnten eine Gesellschaft insgesamt erpressen, indem sie auf die Rechte pochten, die diese Gesellschaft ihren Mitgliedern und auch anderen einräumte.
Die einzige Lösung war internationale Zusammenarbeit. Die Terroristen mußten von all denen abgeschnitten werden, die sie finanzierten oder ihnen anderweitig halfen. Aber es schien den Demokratien schwerzufallen, sich zusammenzutun und einen entscheidenden Schlag gegen die Leute zu führen, die sie unterminierten - trotz aller gegenteiligen Lippenbekenntnisse. Hatte sich das nun geändert? Die CIA hatte einer anderen Nation Daten über Terroristen gegeben, und diese Nation hatte entschlossen gehandelt. Was er eben gesehen hatte, war also ein Schritt in die richtige Richtung, selbst wenn es nicht unbedingt der richtige Schritt war. Ryan sagte sich, daß er eine der vielen Unvollkommenheiten dieser Welt gesehen hatte ..., aber eine in der richtigen Richtung. Daß sie ihn beunruhigt hatte, war eine Folge seiner Prägung durch die Werte der Zivilisation. Daß er nun versuchte, sie zu rechtfertigen, war eine Folge ... ja, wovon?
Cantor betrat Admiral Greers
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