Jack vs Chris
mangelnde Talent, meinen Lieblingssong zu performen. Wirklich keine Kunst und doch, ich beherrsche es einfach nicht. Immer noch die Lippen gespitzt trete ich aus meiner Wohnung.
In gebückter Haltung, mit leicht verzerrtem Gesicht, steht da Frau Meyer. Die Gute ist in die Jahre gekommen, hat die neunzig bald erreicht, und doch versucht sie so zu tun, als sei sie noch junge dreißig. „Wollen Sie ausgehen, Frau Meyer?“ Ich trete neben sie. Schmunzelnd versucht sie, den Rücken geradezubiegen.
„Ja, ich gehe auf Männerschau, möchten Sie mit, Christopher? Vielleicht finden wir etwas Nettes für Sie“, kichert sie dann, wie ein junges Mädchen. Natürlich habe ich es in den letzten drei Jahren nicht geschafft, ihr meine Leidenschaft für das männliche Geschlecht zu verheimlichen, auch wenn sie hier und da die Nase darüber rümpft und streng tut, scheint sie sehr angetan zu sein. Ich will mir gar nicht ausmalen, was in ihren jugendlichen Gedanken meine Leidenschaft für Bilder in ihrem Kopf entstehen lassen.
„Wieso nicht, aber nicht, dass Sie mir die hübschesten Kandidaten wegschnappen“, mahne ich sie mit gespielter Strenge, und wir begeben uns die drei Stufen zur Haustür hinunter.
Erleichterung macht sich in mir breit, dass ich nicht alleine einkaufen muss. Die Angst vor Jack steckt mir noch in den Knochen. Flüchtig sehe ich mich um, entdecke aber nichts Auffälliges. Vielleicht hängt er immer noch an dem Rohr, oder ist bereits ins Jenseits gegangen.
Meine liebste Nachbarin versteht es, mir die Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, zeigt mir den ganzen Weg lang Männer, die nach ihrer Meinung ganz passabel wären. Es ist wirklich nicht einer für mich dabei. Meine letzte Beziehung ist über ein Jahr her, hat sehr gelangweilt geendet, zumindest für ihn. Er hat meine nächtlichen Ausbrüche nicht ertragen, meinte, ich solle die Vergangenheit endlich vergessen. Schließlich könnte man diese nicht mehr ändern. Tja, irgendwann ist er gegangen und ich blieb zurück. Mein Herz war noch heil und die Sprudelflasche reichte mir als Trost.
„Christopher, der ist was für mich!“, zupft Frau Meyer an meinem Ärmel und weist nach vorne. Das war ja klar, der einzige ansehnliche Mann weit und breit, und meine Wegbegleitung hat ihn zuerst entdeckt.
„Natürlich, der passt sehr gut zu ihnen“, stimme ich ihr schmunzelnd zu. Schwarze Haare und grüne Augen sehen uns entgegen. Als würde er ahnen, dass wir von ihm sprechen.
„Nicht zu alt? Er wird sicher Mitte dreißig sein.“ Frau Meyer sieht mich verkniffen an. Ich mache ein nachdenkliches Gesicht.
„Sie könnten recht haben, der kommt nicht mit ihnen mit. Gehen wir mal in den Supermarkt, vielleicht ist da unser Mister Right!“ Lächelnd nickt sie und wir führen unseren Weg gemächlich fort.
Ein unwohles Gefühl in der Magengegend, schwitzige Hände und ein rasender Puls begleiten mich zu meiner Arbeit. Ich habe nun fast zehn Tage unentschuldigt gefehlt, das ist nicht verzeihbar. Lautes Kindergeschrei schlägt mir wie eine Nebelschwade entgegen. Leuchtende Augen erblicken mich, und einige meiner Schützlinge stürmen auf mich zu. Mein absoluter Traumberuf, Kindergärtner. Jedes Kind hat seine Eigenart, gute wie auch schlechte, und doch sind sie einfach toll.
Meine Hände trocknen gerade, mein Puls beruhigt sich, als die Leiterin der Tagesstätte um die Ecke kommt. Ihr Blick ist streng, mit einer Handbewegung ordert sie mich in ihr Büro. Eigentlich ist Elisabeth nett, doch in ihrer Funktion als Leiterin kann sie mehr als korrekt und barsch werden. Mit verschränkten Armen sitzt sie hinter ihrem Kirschholztisch, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. „Wo warst du die letzten Tage?“
Ich bleibe stehen, schlucke trocken und lege mir eine gute Ausrede parat. „Elisabeth … ich will dich nicht anlügen, darum möchte ich lieber nichts sagen. Es tut mir leid, wirklich.“ Ich kann es einfach nicht. Immer ehrlich zu sein gehört zu meinen Grundprinzipien. Die harte Miene meiner Chefin weicht auf.
„Ist es so schlimm? Wieso hast Du dich nicht gemeldet, vielleicht hätte ich dir …“
„Nein, hättest Du nicht. Ich verstehe, wenn Du mir kündigen musst.“ Ich senke den Blick. Schon hält sie mir ein Stück Papier unter die Nase, ein kräftiges Schlucken kann ich nicht mehr unterdrücken, doch dann stockt mein Atem. Es ist lediglich eine Abmahnung und mein Blick geht zu meiner
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