Jack vs Chris
Vergangenheit und hänge die Tüte an den Haken von Theo.
„Kann natürlich auch sein, aber schaden tut eine Untersuchung sicher nicht“, erwidert Elisabeth und geht dann wieder zurück in ihre Gruppe.
Der Tag vergeht schnell, mir fallen die sechs Stunden meiner Anwesenheit gar nicht auf. Langsam geht es auf den Feierabend zu und auch diesen Dienst darf ich alleine durchstehen. Während die Kinder fertig angezogen auf ihre Eltern warten, informiert mich meine Leiterin, dass sie und die Kolleginnen Feierabend machen, dabei drückt sie mir den Schlüssel in die Hand. „Morgen um sieben hier. Du schließt auf!“
„Gerne“, kommt ehrlich erleichtert von mir. Es ist mir egal, was ich noch alles machen muss, solange ich meine Arbeit behalten darf. Die Uhr zeigt bereits nach halb fünf, und nur noch Theo und ich sitzen hier. „Wer kommt dich denn abholen?“, frage ich seufzend.
„Papa.“ Wirklich gesprächig ist der Kleine nicht. Offiziell hat der Kindergarten seit fünf Minuten geschlossen, wo bleibt der Typ nur? Als die Uhr Viertel vor fünf zeigt, greife ich zum Telefon und wähle die Nummer von Theos Vater, als ein Mann in den Kindergarten stolpert. „Guten Tag …“, beginne ich, werde aber rüde unterbrochen.
„Musste länger arbeiten, ´tschuldige. Komm, wir müssen heim“, raunt der Typ erst mir zu, geht dann zu Theo und umfasst dessen Arm.
Selbst mir tut das weh, wie rabiat dieser Mann seinen Sohn mit sich zieht: „Herr Bauer, etwas behutsamer mit Ihrem Sohn“, mahne ich sanft und versuche zu lächeln. Er dreht sich abrupt um, lässt von Theo ab, kommt auf mich zu. Vor Schreck gehe ich ein paar Schritte zurück und werde von der Wand aufgehalten.
„Das geht Sie ja wohl gar nichts an, verstanden?!“ Ich atme tief durch, ringe um Fassung.
„Sie haben ihm wehgetan, aber ich denke nicht, dass das Ihre Absicht war.“ In dem Moment erfasst mein Geruchsorgan einen widerlichen Gestank von Alkohol und Zigaretten.
Eine Faust schlägt neben meinem Kopf auf die Wand: „Kümmere dich um deinen Kram“, knurrt er mir ins Gesicht, wendet sich ab und schubst Theo aus der Tür.
Schockstarre … nichts anderes ist es, was mich erfasst hat. Ich kann es nicht glauben, das kann einfach nicht wahr sein. Wie in Trance schlucke ich den Speichel, der sich in meinem Mund angesammelt hat, und nehme meine Sachen. Dann schließe ich die Eingangstür ab und mache mich auf den Weg nach Hause. Das kann nicht wahr sein, das habe ich nicht gerade erlebt? Zurückversetzt in meine eigene Kindheit will ich mich verstecken, doch in der Gegenwart weiß ich, dass ich Theo helfen muss. In Gedanken versunken laufe ich durch die Stadt, in Richtung meiner Wohnung, als ich den zweiten Schock für den Tag bekomme.
Fast sieben Jahre habe ich es geschafft, ihm nicht zu begegnen. Kaum meine Volljährigkeit erreicht habe ich mich versteckt, bin weit weggezogen, und nun steht er hier? Das darf alles nicht wahr sein. Angst erfüllt mich, Unruhe breitet sich in mir aus, dann scheint alles ruhig zu werden. Es kommt mir vor, als würde ich tief in mir verschwinden, während ein Lächeln auf meinen Lippen erscheint, das rechts ausgeprägter ist als links. Locker gleitet die Hand durch mein Haar, und meine Körperhaltung entspannt sich. Wie immer torkelt er durch die Gegend, mit mehr Glück als Verstand bleibt er auf den Beinen stehen. Die Zigarette im rechten Mundwinkel, scheint auch nur durch Glück nicht den Weg zum Boden zu finden. Meine Finger knacken nacheinander, als ich sie sorgfältig strecke.
„Den schnappe ich mir jetzt und zeige ihm, was Qualen sind“, überstürzen sich meine Gedanken und ich bin schockiert. Ein freudiges Kribbeln durchzieht meinen Körper, als sich die Füße in Bewegung setzen. Die Bilder des Morgens erscheinen vor meinem geistigen Auge, und ich weiß, was zu tun ist. Es wird Zeit, mein Innerstes endlich zu beruhigen. Rache zu üben, um wieder ausgelassen leben zu können. Die Hoffnung, dass die Träume und Ängste dann verschwinden, ist übermächtig.
Es braucht nicht lange, bis ich ihn erreicht habe. Seine Fahne erahne ich schon und muss der Zigarette ausweichen, die er nach hinten schmeißt. „Hey!“, entflieht es meiner Kehle. Schwankend dreht er sich um, sieht mich schmunzelnd an. Ein paar Zentimeter überragt er mich, keine Ähnlichkeit, für die ich mehr als dankbar bin.
„Pass auf, Bübchen, nicht dass dir der Onkel noch wehtut“,
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