Jackpot - wer traeumt, verliert
warum das so war.
Nein, wenn es hier ein Arschloch gab, dann war das höchstens er selber. Und das war auch ein Grund gewesen, warum er seinen Freunden bisher nichts gesagt hatte. Wegen Nadine damals. Vor einem Jahr genau war es passiert, auf Finns Party, wo sie den letzten Schultag gefeiert hatten, vor den Weihnachtsferien. Sie hatten sich fast schon geküsst, im Zimmer von Finns Schwester – und Mann, wie lange hatte er darauf gewartet. Und das auch noch kurz vor Weihnachten!
Aber dann fing Nadine plötzlich an zu weinen, und nachdem er gefragt hatte, was los sei, erzählte sie es ihm: Sie erzählte von der Demenz ihrer Mutter, die damals gerade mal achtundvierzig war, und dass ihr Bruder nicht nur bei einem Autounfall im Sommer ums Leben gekommen, sondern absichtlich gegen einen Baum gerast war und dass ihre Mutter bei der Beerdigung gefragt hatte, warum sie denn hier sei, sie kenne doch überhaupt niemanden.
Es war irgendwie aus ihr herausgeplatzt, sie hatte es ihm erzählen müssen, bevor sie sich küssten – bloß war danach an Küssen nicht mehr zu denken. Wie ein Arschloch hatte er sich benommen – was für ein Feigling! Es war ihm selber klar gewesen und trotzdem konnte er damals nicht anders.
Er hatte mit den Jungs gesprochen, nach der Party. Dass ihm das zu unsicher war, was er sich da aufhalste, wenn er sie küsste. Dass das irgendwie zu viel Tragik für ihn war.
Er wollte Spaß haben im Leben. War das so schlimm?
Lukas, Kippe im Mundwinkel, hatte seine Standardantwort auf solche Fragen abgegeben: »Was stellst du dich mit den Frauen so an? Sind doch nur Frauen.«
Und Nati, hilfsbereit wie immer, war verständnisvoll gewesen. Selbst wenn er Phils Reaktion, objektiv betrachtet, schon auch arschlochmäßig fand.
Und Adrian? Auch der hatte reagiert, wie man es von ihm erwarten würde: Er hatte Phil gefragt, ob es okay wäre, wenn er sich jetzt an Nadine ranmachen würde. – Klar, völlig okay. – Was hätte er einem Kumpel anderes antworten sollen?
Nachdem Adrian es bei Nadine versucht hatte, schaute sie Phil nicht mal mehr an, wenn sie ihm im Gang begegnete.
Zum Halbjahr hatte sie die Schule gewechselt, unbekannt verzogen. Er hätte sich gerne bei ihr entschuldigt. Das mit seiner Mutter war im darauffolgenden März passiert. Seitdem hatte Phil eine Ahnung, wie Nadine sich gefühlt haben musste, als sie ihm von ihren Sorgen erzählt hatte.
Und er hatte sie einfach hängen lassen! Obwohl sie alles war, was er sich von einem Mädchen gewünscht hatte. Nicht nur hübsch, auch witzig und so lebendig – man spürte richtig, wie sie mitging, wenn man mit ihr redete, dass sie immer bei einem war und nicht nur zuhörte, sondern mitfühlte.
Und trotzdem konnte sie fluchen wie ein Müllmann, wenn man mit ihr Computer spielte, je blutiger es da zuging, umso besser. Sie war Kumpel, Traumfrau, aber keine Prinzessin – keine, die die Nase rümpfte, wenn man mal pinkeln musste, sie war der Jackpot gewesen.
Und er zu blöd, um das zu merken. Der Jackpot und das Arschloch – das war ihre Geschichte in einem Satz.
Wie er sich gegenüber Nadine benommen hatte, war nicht lange Thema gewesen. Aber anfangs war genau das der Grund dafür, dass er den Jungs nichts erzählte – von seinen Problemen und dem Umzug.
Er hatte sie einfach in dem Glauben gelassen, er würde immer noch in der Bismarckstraße wohnen, dort, wo er auch aufgewachsen war, nur ein paar Straßen von der Schule entfernt, gegenüber der Kirche. Das vorzutäuschen war nicht allzu schwer gewesen – sie trafen sich schon lange nicht mehr bei ihm zu Hause, weil Lukas jetzt fast immer sturmfrei hatte und man bei ihm auch rauchen durfte. Außerdem hatte er den besten Computer, den größten Fernseher, die neuesten Spiele.
Nein, der eigentliche Grund war der: Wenn er mit den Jungs zusammen war, war es, als könnte er die Zeit noch mal zurückdrehen. Für die paar Stunden jedenfalls, die sie gemeinsam rumhingen. Da fühlte es sich fast wirklich so an, als könnte er danach einfach in seine alte Straße zurückgehen. Wo er immer noch eine heile Familie hätte – mit der er nach der Schule in den Kaisergarten gehen könnte, wenn seine Mutter mal keine Lust hatte zu kochen. Und danach würden sie noch einen Abstecher ins Gelato Bartu machen, Ecke Wilhelmstraße.
Deswegen hatte er den Jungs nichts gesagt. Er wollte sich dieses kleine Stück Glück, so verlogen es auch sein mochte, nicht kaputt machen: dass er für ein paar Stunden einfach
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