Jacks Briefe
Katelyn starrte noch eine ganze Weile auf das schwarze Wasser hinaus, bevor sie den Rat von Seamus befolgte.
Die Sonne warf ihr helles Licht durch das winzige Bullauge. Und, als wollte es Katelyn sachte wecken, traf es wärmend auf ihr Gesicht. Sie lauschte und hörte den belebenden Lärm eines Hafens. Jemand klopfte an die hölzerne Kabinentür. „Aufwachen, wir sind da.“Katelyn packte ihre Sachen zusammen und ging an Deck. Man hatte begonnen, die Pferde für die Artillerie an Land zu befördern. Sie suchte beinahe panisch nach Belle, jedoch konnte sie sie nicht finden. „Belle!“, rief sie und sie pfiff, so wie sie es immer getan hatte. Für gewöhnlich hörte ihre Stute auf jenes Zeichen. Doch nun blieb sie verschwunden. „Seamus!“ Katelyn hatte ihn inmitten einer Traube von Männern entdeckt, die wild auf ihn einredeten. „Seamus, wo ist mein Pferd?“, fragte sie erregt. Die Männer wandten sich ab, als Katelyn auf sie traf. Seamus schien beklommen. „Sie haben es mitgenommen, ich konnte nichts tun. Sie sagten wir hätten ohnehin zu wenig Pferde geliefert.“ Katelyn wandte sich, ohne ein weiteres Wort zu ihm, um und verließ das Schiff. „Ich konnte ihnen ja nicht sagen, dass wir einen Passagier an Bord hatten, der sogar ein Pferd dabei hatte. Denn so was ist nicht erlaubt. Es tut mir leid!“, rief er ihr hinterher, doch sie ignorierte seine Rufe. Sie lief in die Stadt, wischte sich die Tränen aus den Augen, welche unwillkürlich aufkamen, bei dem Gedanken daran, dass sie nun nicht einmal mehr ihr Pferd hatte. Sie war ganz allein. Belle würde den Krieg nicht überleben, wie die meisten Pferde, dachte Katelyn und ging ihres Weges, der von Menschen nur so wimmelte. Sie war erschüttert über den Verlust ihrer geliebten Stute, aber sie dürfte jetzt nicht trauern. Es war keine Zeit dafür und es würde sie auch nur schwächen. Sie wollte sich zusammenreißen, wollte versuchen ihr Ziel zu erreichen. Sie brauchte dafür ihre ganze Kraft. Sie wurde umgerannt und stand wieder auf. Nie zuvor war sie soweit fort von Haimsborrow. Die Menschen drängten sich hier so dicht aneinander, dass sie Mühe hatte, die Orientierung nicht zu verlieren. Sie warf einen Blick auf die Karte und machte erst auf einer Landstraße kurz halt, um etwas zu sich zu nehmen. Heute war ihr siebzehnter Geburtstag, doch daran dachte sie nicht einmal. Andere Dinge beschäftigten sie. Wann würde sie wohl in Ramillies ankommen, ohne ihre Belle?
Währenddessen hatte man ihr Verschwinden auf Haimsborrow bemerkt. Lady Amalia ließ Elisabeth befragen, diese jedoch schwieg wie ein Grab. Die Postkutsche kam früh an diesem Tage und überbrachte einen Brief von Jack. Mit viel Vorsicht war es Elisabeth gelungen, diesen abzufangen, bevor er in Lady Amalias Hände gelangen konnte. Sie dachte an ihre Freundin und hoffte, dass es ihr bisher gut ergangen war. Sie dachte bei sich: Wenn dieser Brief bloß eher angekommen wäre, hätte er vielleicht Unheil abwenden können. Sie befürchtete bereits, dass sich beide, trotz Katelyns Reise nach Ramillies, nicht mehr wiedersehen würden, dass alles nicht gut ausgehen würde. In einem unbeobachteten Moment lief sie zur Ruine, wo Katelyn Jacks Briefe in einer Kiste versteckt hielt. Sie überlegte kurz und beschloss dann, den Brief zu öffnen. Ihre Freundin würde gewiss nichts dagegen haben.
Geliebte Katelyn
Ich bin untröstlich, dass ich dir nicht, wie zugesagt, jeden Tag einen Brief senden kann, aber die Stadt, in der ich mich befinde, liegt in Trümmern. Der Kampf geht unaufhörlich. Er ist grausam und blutig. Es betrübt mich, dass ich dir dies schreiben muss, jedoch ist es das was mich dieser Tage nicht loslassen will. Ich sah wie meine Freunde, welche ich hier kennenlernte, auf dem Schlachtfeld umkamen, ich konnte ihnen nicht helfen. Erst gestern starb ein junger Mann in meinen Armen. Er war gerade mal so alt wie ich! Das Schlimmste daran mag sein, dass hier auch schottische Söldner gegen uns kämpfen. Schotten gegen Schotten, also. Irgendwie irrsinnig findest du nicht!? Es fehlt überall an dem Notwendigsten. Wir leiden Hunger und zu allem Übel macht eine rätselhafte Krankheit die Runde. Ich selbst bin nicht davon verschont geblieben. Jedoch geht es mir bereits etwas besser. Drum sorge dich bitte nicht, meinetwegen! Es grenzt bald an ein Wunder, dass ich in dieser trüben Zeit, meinen Freund Adam wieder an meiner Seite weiß. Er ist einige Wochen nach mir, hier her berufen worden und
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