Jacks Briefe
bereits als Kind mit ihrem Vater besucht und wusste, an wen sie sich wenden musste, um Jack zu finden. Sie wusste durch ihren Vater, wie so ein Kriegslager aufgebaut war, was in dieser Situation ein absoluter Vorteil für sie war. Das Zelt des Colonels war das größte im Lager, an dessen Spitze wehte die rote Flagge der Brigade. Katelyn hoffte, dass sie auf jemanden treffen würde, der sowohl Jack, als auch ihren Vater kannte. Nur dann würde man sie mit Respekt behandeln, so dachte sie. Die Soldaten, an denen sie vorbeizog, beäugten sie neugierig. Einige machten obszöne Bemerkungen. Sie versuchte nicht darauf einzugehen, sie einfach zu ignorieren. Die Wache, die vor dem Zelt postiert war, ließ sie ein. Im Innern war der Colonel gerade damit beschäftigt seine Streitkräfte, auf einem Lageplan, neu zu formieren. Er besprach sich dazu mit zwei seiner Soldaten. Diese bemerkten Katelyns Anwesenheit zuerst. „Colonel Perry?“, fragte Katelyn und ging einen Schritt vor. Er stand mit dem Rücken zu ihr. „Wer will das wissen?“, fragte er wenig freundlich und rührte sich nicht. „Mein Name ist Katelyn Campbell. Mein Vater ist William Campbell. Sie kennen ihn, oder?“ Der Colonel nickte. „Oh, ja ja, Campbell, sicher. Aber dein Vater ist in Oudenaarde, soweit ich weiß. Da bist du falsch abgebogen, Mädchen!“ Er machte sich lustig über sie. Die Soldaten lachten. „Ich weiß, dass er nicht hier ist. Ich bin auch nicht seinetwegen hier. Sondern wegen Jack Hamilton!“ Nun drehte sich der Colonel zu ihr um und sah sie verwundert an. „Der Mann ist an der Front. Was denkst du eigentlich? Dass du einfach hier auftauchen kannst, für eine Tasse Tee und ein paar Kekse?“, er zog sie erneut auf und seine Soldaten hielten sich den Bauch vor Lachen. Sie blickte ihn schweigend an. In ihr zeigte sich in diesem Moment ihre ganze Verzweiflung. Sie wusste ja selbst nicht, ob es richtig war einfach so davon zu laufen, ihn hier zu suchen. Hier, wo kein Platz für sie war, wo es viel zu gefährlich war, für ein gerade siebzehnjähriges Mädchen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie es überhaupt hierher geschafft hatte. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie tatsächlich in Ramillies angekommen war. Müde und hungrig zwar, aber dennoch, sie war hier und Jack war ganz in der Nähe. Sie konnte es förmlich spüren. Colonel Perry nahm sie zur Seite, nachdem er ihren Verdruss bemerkt hatte. Er war sicherlich kein Unmensch, aber diese harten Kriegszeiten hatten ihn nach und nach langsam zu einem werden lassen. Doch er hatte selbst eine Tochter und er sah sie in diesem Moment in Katelyn. „Du weißt es war mehr als töricht hierher zu kommen!?“, sagte er und führte sie in eine Ecke des Zeltes, weg von den Soldaten. Katelyn blickte einsichtig zu Boden. „Dieser Jack, er ist dein Bruder, nicht wahr?“ Sie nickte zustimmend. Wenn auch diese Bezeichnung nicht ganz zutraf. Nicht mehr. „Ich werde eine Ausnahme machen. Aber nur dieses eine Mal“, sagte Colonel Perry. „Ich lasse dich zu ihm bringen. Du hast Glück, er ist seit zwei Tagen nicht im Kampf, weil er unpässlich ist.“ Katelyn blickte besorgt, doch der Colonel beruhigte sie schnell. „Nein, keine Angst. Nichts Schlimmes. Eine Grippe. Er ist bereits auf dem Weg der Besserung.“
Katelyn wurde von einem dürren, rothaarigen Soldaten, der ebenfalls noch sehr jung aussah, in einen anderen Bezirk des Lagers gebracht. Er führte sie zu einem der kleineren Zelte, welche unbewacht waren und gab ihr knapp zu verstehen, dass sie dort drinnen Jack finden würde. Dann ließ er sie allein zurück. Sie atmete tief ein und aus, bevor sie das Zelt betrat. Es war aus weißem Leinen. Zwei Betten waren an jeder Seite. Das eine war leer und auf dem anderen, lag jemand im tiefsten Schlaf. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie sich ihm näherte. Langsam trat sie an ihn heran. Sie hatte ein wenig Furcht davor, enttäuscht zu werden. Was würde sie tun, wenn es nicht Jack wäre? Schritt für Schritt ging sie auf ihn zu. Er lag mit dem Gesicht zur Zeltwand, sodass sie ihn nicht auf den ersten Blick erkennen konnte. „Jack?“, fragte sie vorsichtig. Die Augen immer noch geschlossen, drehte er den Kopf in ihre Richtung, und dann sah sie, dass es wahrhaftig ihr Jack war. Sie kniete sich erleichtert vor sein Bett, strich ihm das schwarze Haar aus dem Gesicht und flüsterte erneut seinen Namen. „Jack? Jack, wach auf.“ Zaghaft öffnete er die Augen, welche sich bei Katelyns
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