Jade-Augen
und faßte ihr mit der anderen unter das Kinn. »Bitte, laß uns Frieden schließen, Annabel. Wir sind alle verzweifelt … ohne Reserven … und es scheint mir eine so ungeheuerliche Verschwendung zu sein, daß wir beide die Zeit, die wir in diesem Ödland der Stürme und des Schweigens noch zusammen haben, nicht besser nutzen.«
Es war das erste Mal, daß er vor sich selbst – und vor Annabel – seine Ahnung zugab, daß sie auf Abruf lebten. Die Jade-Augen begegneten den seinen friedlich, als wolle sie eine Aussage anerkennen, auf die sie schon lange gewartet hatte.
»Ich möchte mich nicht streiten«, sagte sie. »Aber ich bin so enttäuscht über deine Blindheit. Als ob es von Bedeutung sein könnte, wo ich herkomme! Wenn es irgendeine Hoffnung gibt, um unsere Zeit zusammen zu verlängern, dann müssen wenigstens ein paar richtige Entscheidungen getroffen werden.«
»Und was ist mit dem Schicksal?« fragte er in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, heiter zu spotten. »Ich dachte, du glaubst, daß es nicht darauf ankommt, was man tut.«
»Das Endergebnis mag vorbestimmt sein, aber von uns wird dennoch verlangt, unsere Wahl zu treffen«, erklärte sie ernst. »Und es gibt meistens vernünftige und dumme Möglichkeiten.«
Kit schüttelte verblüfft den Kopf. »Manchmal begreife ich dich überhaupt nicht. Du sagst das eine, meinst aber etwas vollkommen anderes.«
»Nein, Feringhee, nicht mich verstehst du nicht, sondern den Afghanen.«
»Damit sind wir wieder vorne angelangt«, sagte Kit und ließ sein Kinn mit einem Seufzer der Niederlage fallen. »Du kennst vielleicht Akbar Khan, aber ich kenne Elphinstone und Macnaghten, und ich weiß, daß nichts Gutes daraus erwachsen wird, wenn ich dich ihnen als informierte Quelle vorstelle. Sie werden nur eine Frau mit dubioser Vergangenheit und noch dubioserer Gegenwart sehen, und sie werden keine unverdaulichen Wahrheiten aus dem Munde meiner Mätresse annehmen.« Er wandte sich zur Tür. »Ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde.«
»Das erwartet auch niemand«, antwortete sie steif. Die Tür knallte hinter ihm ins Schloß, und sie fluchte leise. Vielleicht hatte Kit recht, und sie wäre vor dem Kronbevollmächtigten nicht glaubwürdig. Aber er konnte es sie wenigstens versuchen lassen. Es war so haarsträubend, daß ihr jetzt, wo sie auch innerlich auf der Seite der Feringhees stand, niemand erlaubte zu helfen.
Kit marschierte zum Hauptquartier und fragte sich, ob seine Meinung vielleicht vorschnell war. Er wußte nicht, ob Macnaghten auf Annabel hören würde; möglicherweise tat er es doch. Aber Kit konnte sich einfach nicht überwinden, sie dem forschenden Blick der Öffentlichkeit auszusetzen, erklären zu müssen, daß ihr Wissen aus ihrer Zeit einer Bewohnerin von Akbar Khans Zenana stammte. Seine Freunde, die von ihrem Geheimnis wußten, behandelten sie mit absoluter Diskretion; aber sobald es sich herumsprach, würde jedes Klatschmaul ihren Namen im Mund führen, ihre Geschichte würde zum Thema lüsterner Spekulationen in den Offiziersmessen und Salons im gesamten Kantonnement. Seine großen Pläne, Annabels Familie in England aufzuspüren, sie seinen Eltern vorzustellen und sie in der St.-George-Kathedrale am Hanover Square zu heiraten, erkannte er als reine Luftschlösser. Wie immer hatte sich ihre pragmatische Klarheit als richtig erwiesen. Sie würden eine solche Zukunft nicht haben. Aber solange die Gegenwart andauerte, wollte er sie wenigstens für sich allein haben, sie vor unfreundlichen Zungen beschützen und allen, die sich harmlosen Vermutungen über die Identität und Geschichte der mysteriösen Frau unter Hauptmann Ralstons Dach hingaben wollten, genau das erlauben … nur daß in dem rauhen Klima, das augenblicklich zwischen ihnen herrschte, wenig Befriedigung über diese Sonderstellung bestand, dachte er düster, als er das Hauptquartier erreichte.
Innerhalb der nächsten Stunde verlor all dieses Geplänkel an Bedeutung. Emissäre von Akbar Khan brachten einen Vorschlag, den Sir William Macnaghten sehr ansprechend fand und der Kit, noch unter dem Eindruck von Annabels Bestandsaufnahme, mit Entsetzen erfüllte. Akbar Khan schlug vor, daß die Briten bis zum Frühling im Kantonnement verbleiben sollten, wo sie dann selbst für ihren Rückzug sorgen konnten. Akbar Khan würde dem Kronbevollmächtigten den Kopf von Ameenoolla Khan übergeben im Tausch gegen eine Garantie durch die britische Regierung, ihm drei Millionen Rupien
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