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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Erhebung unter ihrem Daumen, daß sie blutete.
    Sie zog rasch ihre Hand zurück, und ihr Aufschrei des Schmerzes bewirkte, daß einer der Männer, die den Garten bewachten, mit gezogenem Messer über das Gras auf sie zugelaufen kam, um den Vogel zu töten.
    »Nein!« rief sie entsetzt. »Das war meine Schuld.«
    Der Mann schaute sie erstaunt an und kehrte unverrichteter Dinge auf seinen Posten zurück.
    Ayesha hob den Schleier leicht, damit sie die Wunde aussaugen konnte. Ein treuloser Vogel hackt in die Hand, die ihn füttert. Wenn Christopher Ralston Akbar Khans Ayesha auch nur mit Interesse in den Augen ansah, dann könnte man ihn des gleichen Verrats bezichtigen wie den Vogel. Ruhelos ging sie in dem kleinen Hof umher. Was hatte er gesagt, als sie ihn nach seinem Auftrag gefragt hatte? Sie hörte noch immer seine ruhige und sichere Stimme. Ich habe nach dir gesucht.
    Sie zitterte. Wußte er irgend etwas über diese Menschen? Wußte er nichts über sie oder war nicht bereit, die natürliche Macht des Khans über seine Untertanen, insbesondere über seine Frauen, zu akzeptieren, dann waren sie beide in größter Gefahr. War es nur ein mutwilliges Spiel, das Akbar Khan mit Christopher Ralston zu spielen gedachte? Oder lag dahinter eine finstere, bedrohlichere Absicht verborgen? Was auch immer es war, wie sollte sie Christopher Ralston auf die gebotene Vorsicht hinweisen?
     
    Akbar Khan, der Sohn des entmachteten Shahs, war vielleicht ein auf der Flucht befindlicher Rebell, aber er kannte ohne Zweifel den Luxus, dachte Kit und schaute sich in dem behaglichen Raum um, in den ihn ein schwerbewaffneter Mann mit ausdrucksloser Miene geführt hatte. Der Afghane hatte auf den Porzellankrug mit heißem Wasser, die Handtücher, die Karaffe mit Fruchtsaft, die Platte mit Konfekt und den Obstkorb gewiesen und Leutnant Ralston sich selbst überlassen.
    Abdul Ali und die Sepoys waren in eine andere Richtung eskortiert worden, aber weder Drohungen noch Unhöflichkeiten waren irgendeinem von ihnen bisher zuteil geworden, also ging Kit davon aus, daß sie in den Genuß der Gastfreundschaft kamen, die ihrer Position angemessen war. Wenn er tatsächlich zu einer Audienz bei Akbar Khan vorgelassen würde, dann sollte er sich jetzt lieber eine überzeugende Botschaft einfallen lassen. Könnte sie vielleicht von Elphinstone stammen? Oder vielleicht von Macnaghten? Der Kronbevollmächtigte, wie letzterer genannt wurde, war in Afghanistan der höchstrangige Politiker im Beamtenstab der Ostindischen Kompanie. Ja, sie sollte auf jeden Fall von Macnaghten stammen. Jeder in Kabul wußte, daß die Entscheidungen des Bevollmächtigten mehr zählten als die General Elphinstones oder Shah Soojahs. Aber was würde der prunkvolle, aufgeblasene, selbstgefällige Brite diesem Rebellkrieger mitzuteilen wünschen? Drohungen? Versprechen? Versöhnung?
    Wenn du mit Akbar Khan verhandeln willst, dann sei kühn und wahrhaftig. Ayesha war ein Risiko eingegangen, um ihm diesen Rat vor dem ganzen Stamm zu geben. Warum also nicht die Wahrheit sagen, soweit es ging: Er war von Kabul geschickt worden, um zu kundschaften. Wo könnte er mehr herausfinden, als in der Höhle des Löwen? Er wollte Akbar Khans Meinung zur augenblicklichen Lage kennenlernen und würde bereitwillig alle Fragen beantworten: Man konnte kaum kühner oder wahrhaftiger sein! Aber wie würde dieses Verhalten sich auf das Hauptziel seiner Entführungsexpedition auswirken? Wie sollte er Ayesha aus dieser Festung, zwei Tagesritte von Kabul entfernt, herauslotsen?
    Eine passende Gelegenheit würde die Antwort auf diese Frage geben müssen. Er konnte kaum Pläne schmieden, wenn er nicht wußte, womit er als nächstes zu rechnen hatte. Vielleicht würde er sie nicht wiedersehen, solange er hier war. Nein, diese Hirngespinste waren wenig hilfreich und einer schlaflosen Nacht entsprungen. Er warf sich auf den mit Kissen bedeckten Diwan, der unter einem niedrigen Fenster stand, und fiel augenblicklich in einen traumlosen Schlaf.
     
    Akbar Khan stand vor dem Fenster und untersuchte das anständige Gesicht des Schlafenden. In diesem Gesicht spiegelten sich alle Insignien seiner Klasse und Rasse wider, und die Lippen des Afghanen kräuselten sich verachtungsvoll. In ein paar Jahren würden ausschweifendes Leben und Bequemlichkeit die klaren Linien dieser Züge tilgen, die schmale Nase verdicken, die Festigkeit des Mundes in Schlaffheit verwandeln, die jetzt weiche Haut, die sich straff über die hohen

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