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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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die Ohren, stob durch ihr Haar und trieb ihr Tränen in die Augen, so daß sie während des langen Ritts nicht mehr ausmachen konnte, wann genau die Tränen der Trauer schließlich die Oberhand über die der Angst erlangten.

1. KAPITEL
September 1841
    Als der Katzenjammer langsam abklang, entschied Christopher Ralston schmerzlich, daß dieser diesmal in eine höhere Kategorie einzuordnen sei, und wenn irgend jemand in solchen Dingen Bescheid wußte, dann war er es. Die Sonne erschien unnötig grell vor diesem strahlend blauen Berghimmel, und zusammen mit den weißen, schneebedeckten Gipfeln blendete ihn alles unbarmherzig.
    Normalerweise bewegte ihn die Würde der afghanischen Landschaft trotz seines gewöhnlichen Katers, aber heute war ein besonders schlimmer Tag. Lächelnde Ebenen, starre Berge, plätschernde Bäche, wagemutig gewundene Pfade, die ihren Weg zwischen den Felsen hindurch verfolgten trotz aller Widrigkeiten, welche das Terrain mit sich brachte – all dies vermochte weder den pochenden Schmerz in seinen Schläfen, die Lähmung durch die Schwere der Depression zu lindern, noch seinem ausgetrockneten Mund, seinen brennenden Augen und seinem beleidigten Magen Erleichterung zu verschaffen.
    Wie immer fragte er sich, warum er das auf sich nahm. Warum noch ein Spiel, ein letztes Spiel, ein allerletztes Spiel spielen? Warum noch einen Brandy, einen letzten Brandy, einen allerletzten Brandy hinunterkippen? Warum fiel er Nacht um Nacht auf sein Lager, seinen Burschen verfluchend, der sich mit den Haken und Knöpfen und Stiefeln abmühte, um seinen fast bewußtlosen Offizier ins Bett zu verfrachten?
    Dumme Frage. Wer würde nicht Vergessen suchen, wenn er an einen derart gottverlassenen Außenposten der zivilisierten Welt verbannt war? Gezwungen, sich mit der Mittelmäßigkeit eines Leutnantspostens in der Kavallerie der Ostindischen Kompanie abzufinden?
    Gott, welche Ironie! Seine Lippen verzogen sich in bitterer Selbstbelustigung. Der ehrenwerte Kit Ralston, Liebling der Gesellschaft trotz – oder wegen – seines ausschweifenden Lebenswandels, der schneidige Hauptmann der Siebten Leichten Dragoner, verstoßen in die Dunkelheit wegen eines durch Trunkenheit verursachten Mißgeschicks.
    »Bitte um Entschuldigung, Sir, aber die Männer sind nun seit vier Stunden im Sattel. Es ist Zeit fürs Mittagessen.«
    Die weiche Stimme des Havildar Abdul Ali, des Eingeborenen-Sergeants, tropfte wie Regen, aber die Mahnung war trotz aller Sanftheit dennoch ein Befehl. Kit nickte dem Sergeant brüsk zu und versuchte so zu wirken, als habe er längst dasselbe geplant. »Ich habe mich dazu entschlossen, bei den Bäumen dort drüben Rast zu machen. Wir werden dort weniger sichtbar sein.« Mit seiner Gerte wies er zur windgeschützten Seite des Berges, an dessen Fuß ein kleines Dickicht am Rande einer grünen Wiese in der sandigen, weiten Ebene lag.
    »Natürlich, Sir«, murmelte der immer taktvolle Havildar. »Eine ausgezeichnete Wahl.«
    Kit fragte sich, ob er nicht einen Hauch von Ironie in der Stimme des Mannes entdecken konnte, und entschied dann, daß es ihm gleichgültig war. Leutnant Ralstons Abneigung gegen seine augenblickliche Stellung war weder den Männern noch den Offizieren verborgen geblieben; aber dann, keiner von ihnen war besonders glücklich darüber, den Teil einer Okkupationsarmee zu bilden, die keinerlei Legitimation besaß, britische Bajonette gegen unwillige Afghanen einzusetzen – um sie unter eine Herrschaft zu zwingen, die sie verabscheuten, und das mit gutem Grund. Shah Soojah gehörte zu der Art von Unterdrückern, deren Tyrannei in ihrem eigenen Mangel an Geist und in ihrem Übermaß an Angst begründet war. Er war kein Herrscher für die ungestümen, freiheitsliebenden afghanischen Stammesfürsten.
    Leutnant Ralston blickte müde in die Landschaft, die ihn umgab, und dachte träge darüber nach, was er und seine Patrouille tun würden, wenn sie tatsächlich auf eine Gruppe kriegerischer Ghilzai-Bergbewohner stoßen sollten. Wahrscheinlich auf den Fersen kehrtmachen und Reißaus nehmen! Die Ghilzai waren kaum als zivilisierte Gegner zu betrachten, obwohl sie es noch eher waren als die fanatischen Ghazi. Sie alle waren jedoch gleichermaßen Eiferer, wenn es um ihre Entschlossenheit ging, einen Freischärlerkrieg gegen die europäischen Eindringlinge und ihre Marionettenherrscher anzusetzen, die sie besteuern und ihnen befehlen wollten; die den Bergstämmen ihr angestammtes Recht verweigerten,

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