Jade-Augen
wünsche Ihnen viel Glück.« Johnson begleitete ihn nach draußen, wo Kit sein Pferd holte. Er blickte zu den umliegenden Berggipfeln und dem darüberhängenden Himmel auf. Tief sog er den Atem ein. »Wenn wir bei Wintereinbruch noch hier sind, Ralston, dann werden wir nicht die geringste Chance haben, hier lebend rauszukommen. Sie werden unsere Knochen schön sauber abnagen.«
»Mir war gar nicht klar, daß wir planen, von hier abzuziehen«, forderte Kit den Hauptmann heraus. »Braucht Shah Soojah denn den Schutz britischer Bajonette nicht mehr, um seine Anwartschaft zu sichern?«
Johnsons Lachen schallte bitter und scharf durch die Kälte. »Sobald wir uns zurückziehen, wird der Shah ein toter Mann sein, wie Sie sehr wohl wissen. Aber das ganze Land außerhalb dieser Stadt erhebt sich gegen die Feringhees. Nott versucht Kandahar zu halten, und Sale, dessen können Sie sicher sein, wird jeden einzelnen Schritt hierher zurück erkämpfen müssen. Sie kesseln uns von allen Seiten ein. Die Schatulle ist beinahe leer, mit dem Proviantlager steht es nicht viel besser, und die Chancen, daß Verstärkung aus Peshawar oder Quetta zu uns durchkommt, stehen schlecht. Wir werden uns zurückziehen müssen … besser früher als später. Und jetzt sagen Sie, daß Akbar Khan in Kabul ist.« Er schüttelte düster den Kopf. »Mir fallen da keine Gebete mehr ein, Ralston, und wenn Sie wollen, dann nennen Sie mich einen Schwarzseher.«
»Ich bin froh, daß ich in Ihnen einen gleichgesinnten Pessimisten gefunden habe«, bemerkte Kit finster und bestieg sein Pferd. Die beiden verabschiedeten sich freundlich voneinander, und Leutnant Ralston ritt zurück in das Kantonnement, um sich dort der unangenehmen Aufgabe zu stellen, seinen Vorgesetzten unliebsame Tatsachen vor Augen zu führen.
Ayesha kuschelte sich in den pelzbesetzten Schal. Sie stand ganz hinten in dem Vorzimmer des Raumes, wo die Shura abgehalten wurde. Die Öllampen warfen groteske Schatten auf die verputzten Wände. In ihrer vollkommenen Bewegungslosigkeit konnte sie spüren, wie das Blut durch ihren Körper strömte. Der Steinfußboden unter ihren bloßen Füßen war eisig. Ein bitterkalter Nachtwind fand seinen Weg durch einen Spalt am Fenster hinter ihr und setzte den Wandbehang vor dem Durchgang zum Beratungszimmer sachte in Bewegung. Ab und zu würde ein ärgerlicher Ausruf an ihre Ohren dringen, das Scharren eines Stuhls über den Steinfußboden, dann würde Akbar Khan etwas sagen, mit gebieterischer Stimme, und der wütende Sprecher würde verstummen.
Aber jedesmal, wenn Akbar Khan sprach, wurde Ayesha von dem drohenden Unterton in seiner scheinbar ruhigen, vermittelnden Stimme aufgeschreckt. Er versuchte in dieser unvereinbaren Gruppe Einigkeit zu stiften. Offen sagte er es nicht, aber sie konnte es in jedem Wort und jeder Pause spüren. Wie sollte man den Feringhees trauen? Sie machten Versprechungen, aber sie hielten ihre Truppen in Kampfbereitschaft. Natürlich, sie waren ernstlich geschwächt durch das Schließen der Pässe. Natürlich, sie schienen nicht die elementaren Vorkehrungen gegen einen möglichen Angriff zu treffen. Natürlich, sie verachteten die Afghanen offenbar so sehr, daß es ihnen gar nicht in den Sinn kam, eine Verteidigung vorbereiten zu müssen.
Ein Zischen des Zorns begrüßte diese scheinbar achtlose Beobachtung, und die Stimmen erhoben sich aufgeregt. Dieses Mal machte Akbar Khan keinen Versuch, sie zu beruhigen.
Ayesha schlüpfte aus dem Vorzimmer. Ihre Füße waren inzwischen gefühllos vor Kälte, aber das war nichts im Vergleich mit der tödlichen Kälte in ihrer Seele, als sie den Weg und das Ziel erkannte, worauf Akbar Khan zusteuerte … es sei denn, sie könnte ihn mit irgendeinem Zauber zum Einhalten bewegen. Es war der dreizehnte Oktober.
»Wie kann Sale über hundertzwanzig Mann verloren haben?« rief Sir William aus, zur Abwechslung einmal seiner kühlen Überlegenheit beraubt. »Jugdulluk ist doch kaum drei Meilen von Gundamuk entfernt!«
»Drei Meilen auf einem Gebirgspfad, der sich zwischen beherrschenden Anhöhen hindurchwindet«, korrigierte Leutnant Ralston mit gewohnter Genauigkeit. »Der General sagt in seiner Depesche, daß die Nachhut ununterbrochen von Ghilzai angegriffen wurde, die sie an einem Paß eingeschlossen hatten.«
»Ich kann lesen, danke, Leutnant«, erklärte der Kronbevollmächtigte eisig. »Und für mich liest es sich wie ein Stück schockierend schlechter Strategie. Warum hat
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