Jade-Augen
Erfrischungen und heißem Wasser ab, zog nur die Stiefel aus und legte sich voll bekleidet auf das Bett. Er nahm sich vor, den Rest der Nacht auszuruhen und beim ersten Morgenlicht aufzubrechen.
Der Morgen des zweiten November war kaum angebrochen, als ihn ein Gefühl bevorstehender Gefahr weckte. Er lag in dem dunklen Raum und strengte alle seine Sinne an, um herauszufinden, was ihn so plötzlich geweckt hatte. Zunächst konnte er nichts Ungewöhnliches ausmachen. Er erhob sich, ging zum Fenster und zog den Vorhang beiseite. Ein dünner grauer Streifen am Horizont, unter einem wolkenverhangenen Himmel, kündigte die Frühe an. Instinktiv behutsam öffnete er die Fensterflügel und lehnte sich hinaus in die kalte Luft. Dann hörte er es. Es drang von jenseits der Amtssitzmauern zu ihm: das Geräusch von Füßen, ein unheilvolles Summen von Stimmen … als peitschte der Sturm Wellen an einen Kiesstrand.
Hastig zog er seine Stiefel an, überprüfte seine Pistole und rannte nach unten. In der Eingangshalle stieß er auf Broadfoot und die beiden Burnes-Brüder. Sir Alexander schien gelassen, war tadellos gekleidet, als ob er die Morgenparade abnehmen wolle. Broadfoot und Charlie jedoch sahen so zerknittert aus, wie Männer, die eben erst aus dem Bett gekrochen sind.
»Sieht wie ein kleiner Aufstand aus«, bemerkte Sir Alexander, seinen Rock und die Krawatte glattstreichend. »Ich werde von der oberen Veranda aus ein Wörtchen mit ihnen reden … sie bald nach Hause schicken.«
»Hast du die Wachen verdoppelt?« fragte Kit und ging auf die verbarrikadierte Eingangstür zu. »Macht auf!« rief er den verängstigten Dienern zu.
»Sah keinen Sinn darin, mein Bester«, sagte Burnes. »Konnte mir nicht vorstellen, was dieser Pöbel von mir will.«
»Ein Angriff auf den Amtssitz wäre ein mächtiger Ansporn für die Rebellen, und sie hätten einen mächtigen Ausgangsort«, erklärte Kit knapp, zwängte sich in seinen Mantel und betrat den Hof. Das zunehmende Licht warf frostige Schatten, umhüllte die Büsche und Pflanzen die den Hof zierten. Er ging hinüber zu dem großen verrammelten Tor, wo Wachen mit gezogenen Waffen auf der hohen Steinmauer standen. Durch das Torgitter hindurch sah er die ständig anwachsende Menge. Sie drückten gegen das Tor, ließen jedoch beim Anblick des braungesichtigen, mit einem Turban bekleideten Mannes in seinem Ziegenmantel und der Sepoys, die schließlich keine Feringhees waren, keine Anzeichen von Bedrohung erkennen.
Kit sagte nichts, denn ihm war klar, daß seine Verkleidung, sobald er den Mund aufmachte, wirkungslos wäre, und er wußte jetzt schon, daß er, noch bevor viel Zeit verstrich, glücklich über sein Kostüm sein würde.
Er kehrte zum Haus zurück. »Ich werde Macnaghten informieren.«
»Ich will erst mit ihnen reden. Ohne Grund möchte ich nicht jammern.« Burnes ging gemessenen Schritts nach oben und auf die Veranda, von der aus er den Hof und die davor liegende Straße überblicken konnte. Beim Erscheinen des Feringhee mit seinem dunklen Frack, seinen Ledergamaschen und seiner Pelzmütze setzte ein ohrenbetäubender Lärm ein. Fäuste wurden emporgerissen, Stöcke wurden geschwenkt, Krummsäbel und Khyber-Messer blitzten in der Dämmerung auf.
Kit fröstelte angesichts der Tiefe des Hasses, den der drohende Mob äußerte. Die letzte Zurückhaltung war aufgegeben worden, und Haß und Rachsucht flammten nun übergroß und ungehindert auf. Das wilde, stolze Volk war einem fremden Joch unterworfen worden, aber es war jetzt im Begriff, dieses Joch abzuwerfen und Rache für die Schande zu nehmen.
Burnes erhob seine Stimme über die Menge, und einen Augenblick lang waren sie still und hörten seinem fließenden Paschtu zu. Kit hatte einen Augenblick lang die Hoffnung, daß dieser begabte Linguist den Mob würde beruhigen können, doch bald schwand sie dahin. Die Ansprache des politischen Offiziers wurde zunehmend gönnerhaft, drückte den Schmerz und den Ärger eines Vaters aus, der mit der lästigen Auflehnung eines Kindes konfrontiert ist.
Ein Stein flog durch die Luft und schlug eines der vorderen Fenster ein. Der Klang berstenden Glases ließ die Menge gegen das Tor wogen und Beleidigungen ausstoßen. Einer sprang auf die Mauer, und einer der Sepoys feuerte seine Muskete in dem Augenblick ab, als er in die heulende Menge hinabgezogen wurde. Seine Schreie erhoben sich schrill über der schrecklichen Szene.
Burnes trat rasch den Rückzug an und knallte die Verandatür
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