Jade-Augen
sich nackt in der frischen Morgenluft und zog dann Hose und Uniformrock an, die Harley ihm reichte.
Annabel setzte sich auf und blinzelte. »Hast du gesagt, daß sie das Kantonnement angreifen?«
»Ja, Miss.« Harley vermied es geflissentlich, in die Richtung des Bettes zu sehen, wo sie sich die Decke bis ans Kinn gezogen hatte, ihr Haar in der Morgensonne glänzend wie poliertes Kupfer.
Das Geräusch an die Tür hämmernder Fäuste rief Harley in die Eingangshalle. Kit wandte sich zum Bett. »Ich muß herausfinden, was los ist, aber ich werde mich beeilen.«
»Ich komme mit«, beschloß sie und schlug die Bettdecke zurück.
»Nein«, wehrte Kit ab. »Du darfst dich im Kantonnement nicht zeigen.«
»Warum denn nicht?« Sie hob ihr Nachthemd vom Boden auf, gerade als Bob Markhams Stimme durch die Halle drang.
»Bleib einfach hier, bis ich zurück bin«, ordnete Kit an und verließ den Raum. »Bob, was zur Hölle ist los? Handelt es sich um einen gezielten Angriff?«
»Das ist schwer zu sagen«, antwortete Bob. »Es kam alles sehr plötzlich. Panik ist ausgebrochen.«
»Natürlich ist es kein gezielter Angriff«, ließ sich Annabel vernehmen und betrat gelassen die Eingangshalle, während sie die letzten Knöpfe an ihrem Nachthemd schloß. Sie warf ihre Haarflut mit einer ungeduldigen Geste über die Schulter. »Es wäre ihnen nicht ausgeklügelt genug, einen offenen Angriff zu wagen … oder jedenfalls wäre es das für Akbar Khan nicht. Oh, guten Morgen, Hauptmann Markham.« Sie lächelte. »Wie unhöflich von mir, Sie nicht gleich zu begrüßen.«
Bobs Gesichtsausdruck verriet deutlich, daß die Bedeutung ihres Aufzugs und ihr Heraustreten aus Kits Schlafzimmer ihm nicht entgingen, aber er erholte sich mit bewundernswerter Geschwindigkeit. »Guten Morgen, Miss Spencer.«
»Annabel«, verbesserte sie ihn automatisch. »Ich kann mir vorstellen, daß dies zur Strategie der Einschüchterung gehört, so wie der Angriff auf den Amtssitz.«
»Du nennst dieses Gemetzel einen Einschüchterungsversuch?« rief Kit.
Annabel zuckte die Schultern. »Ich nehme an, so hat es angefangen, aber es ist außer Kontrolle geraten.« Sie wandte sich zum Wohnzimmer. »Ich frage mich, ob meine Kleider noch hier sind. Ich will mich gleich anziehen und –«
»Verdammt noch mal, Annabel, du mußt im Haus bleiben«, fuhr Kit dazwischen. »Du kannst nicht im Kantonnement umhergehen, bis wir uns einig sind, wie wir deine Anwesenheit hier erklären. Das mußt du doch verstehen.«
»Ich verstehe überhaupt nichts«, erwiderte sie. »Wen geht das etwas an, wer ich bin und wohin ich gehe?«
»Kit hat recht, Miss … äh, Annabel.« Bob kam seinem Freund zu Hilfe. »Es gibt Regeln, wissen Sie, und –«
»Sie gelten nicht für eine afghanische Frau.« Sie tat den Einwand mit einer Handbewegung ab. »Und da ich mich nicht mehr länger in einem afghanischen Zenana befinde, muß ich mich auch nicht mehr länger an die Gesetze der Frauengemächer halten. Solltet ihr beide nicht besser euren Aufgaben nachgehen? Ich bin sicher, ihr müßt euch irgendwo melden.« Die Wohnzimmertür schloß sich nachdrücklich hinter ihr.
Kit wollte hinterher, dann wurde ihm klar, daß er nicht länger verweilen und Wortgefechte mit dieser unversöhnlich eigensinnigen Frau austragen durfte. Mit dem Schlachtruf »Hölle und Teufel!« stürmte er aus dem Haus, Bob ihm auf den Fersen.
»Da hast du wohl ein größeres Stück abgebissen, als du verdauen kannst«, bemerkte Bob und paßte sich der Geschwindigkeit seines Kameraden an.
»Oh, nein, das habe ich nicht«, widersprach Kit heftig. »Alles was ich brauche, ist ein wenig Zeit, um ihr die Angelegenheit zu erklären. Es ist nur, daß sie unsere Art und Weise eben nicht gewöhnt ist, sie kennt ein vollkommen anderes Leben.«
»Das muß es sein«, stimmte Bob feierlich zu. »Sobald du ihr erklärt hast, daß Lady Sale kein freundliches Auge auf eine Dame werfen würde, die mit dir unter deinem Junggesellendach lebt, wird sie die Notwendigkeit einsehen, mit der gebotenen Umsicht aufzutreten.«
»Ach, sei doch still!« schnarrte Kit bei dieser unangenehmen Erinnerung an seine Verantwortung in der Angelegenheit. Er stapfte in den Bungalow, in dem das Hauptquartier untergebracht war.
Annabel hatte sich inzwischen angezogen, ihren Behelfsschleier vom Vorabend befestigt und sich in den pelzbesetzten Mantel gehüllt, den Kit aus Akbar Khans Haus mitgenommen hat. Er verbarg sie beinahe wie ein Chadri deshalb war
Weitere Kostenlose Bücher