Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jaeger

Jaeger

Titel: Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
Vom Netzwerk:
dem Marina auf den ersten Blick ansah, dass dort Hehlerware verkauft wurde, mehrere Bars, einen Schönheitssalon sowie ein Tattoostudio. Den sonnengebleichten Fotografien in dessen Schaufenster nach zu urteilen, verfügte der Tätowierer über die künstlerische Ausdruckskraft eines Sechsjährigen.
    Noch wenige Schritte, dann stand sie vor dem Eingang des Coasters. Die Fassade war, nicht gerade fachmännisch, in einem dunklen Violett gestrichen, und jemand hatte halbherzig weiße Farbe über die rostigen Fenstergitter gekleckst. Die Tür stand offen. Im Eingang warb ein Poster in sehr unkonventioneller Rechtschreibung und Grammatik für einen Achtzigerjahre-Abend. Daneben hing eine Notiz an der Wand, die den Gast darüber aufklärte, dass der Pub über zwei Bereiche verfügte und die Küstenbar ausschließlich über den Gebäudeeingang am Wasser zugänglich war. Die Formulierung ließ keinen Zweifel daran, dass es demjenigen, der auf die Idee kam, diesen Hinweis zu missachten, schlecht ergehen würde.
    »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren«, murmelte Marina leise und versuchte vergeblich, genügend Mut aufzubringen, den entscheidenden Schritt ins Innere der Bar zu wagen.
    Sie betrachtete den abgetretenen, schmutzigen Teppichboden im Eingangsbereich. Der unverkennbare Geruch von schalem Alkohol und ungeputzten Räumen wehte ihr aus dem Dunkel entgegen. Sie konnte Stimmen hören. Leise, verschwörerisch. Dazwischen das monotone Säuseln eines Fernsehansagers. Drinnen bewegten sich Gestalten, Schatten inmitten von Schatten. Sie sah nicht, spürte aber, wie sich Köpfe in ihre Richtung wandten.
    Dies war der allerletzte Ort auf der Welt, an dem sie in diesem Augenblick sein wollte. Doch dann musste sie an Phil denken, der allein und bewusstlos im Krankenhaus lag … an die Telefonstimme …
    Und an Josephinas Gesicht.
    Sie holte tief Luft.
    Und trat ein.
    12 »So, da wären wir. Willkommen zu Hause.«
    Er blickte geradeaus, wo neben einem heruntergekommenen Haus ein rostiger Wohnwagen auf einem Flecken struppigem, von Unkraut überwuchertem Rasen stand. Ansonsten meilenweit nur Einöde. Nach einem Zuhause sah es nicht gerade aus, fand er.
    »Na, was sagst du?«, fragte Jiminy Grille lachend, als erwarte er eine Runde Applaus.
    Er runzelte die Stirn. »Ich … Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Eigentlich muss ich woanders hin.«
    »Ja.« Jiminy Grille wirkte verstimmt. Mit dieser Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. »Mach dir deswegen keinen Kopf. Das ist alles geregelt.«
    »Ich muss mich melden. Wegen der Bewährung, haben sie gesagt. Ich muss irgendwo unterschreiben. Ich darf nicht weg. Ich darf nicht einfach so verschwinden. Ohne vorher Bescheid zu geben.« Dies alles sagte er auf wie eine auswendiggelernte Rede.
    »Ich hab’s dir doch gerade erklärt. Mach dir keinen Kopf deswegen. Also …« Jiminy Grille drehte sich um und zeigte mit ausladender Geste auf den Wohnwagen. Zweiter Versuch. »Was sagst du zu deinem neuen Heim?«
    Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wo er sich befand. Die Fahrt hatte lange gedauert, oder zumindest war sie ihm lang vorgekommen, weil er nicht gewusst hatte, wohin sie ging. Er hatte aus dem Fenster geschaut, aber nichts wiedererkannt. Da war eine breite Straße gewesen, jede Menge schnelle, laute Autos. Das hatte ihm nicht behagt. Er hatte sich gefürchtet. Dann war aus der breiten Straße eine schmale Straße geworden, die um eine Ortschaft herum führte. Er hatte das Gefühl gehabt, diese Ortschaft zu kennen, war sich aber nicht ganz sicher gewesen. Es war alles so lange her, und damals war er ein anderer Mensch gewesen. Irgendetwas mit Römern. Eine Allee der Erinnerung. Er hatte keine Ahnung, woran man sich da erinnern sollte. Oder was man vergessen sollte. In seinem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander.
    Sie hatten die Ortschaft hinter sich gelassen und die Straßen waren noch schmaler geworden. Eng, hatte Jiminy Grille gesagt. Zum Ersticken. Er selbst hatte das nicht so empfunden. Nicht im Vergleich zu dem Ort, von dem er gerade kam.
    Die Abstände zwischen den Häusern wurden immer größer, bis schließlich nur noch Bäume und Wiesen zu sehen waren. Hier waren auch längst nicht mehr so viele Autos unterwegs, was ihn eigentlich hätte beruhigen sollen. Stattdessen trat das Gegenteil ein. Das weite Land und der riesige Himmel darüber machten ihm Angst. Er wollte lieber wieder mehr Lärm haben.
    Irgendwann bogen sie von der Straße auf einen

Weitere Kostenlose Bücher