Jäger der Macht: Roman (German Edition)
wo sie vorhin schon den Papierstapel bemerkt hatte. Er zog daran und brachte ein etwa fünf Fuß langes und mehrere Fuß breites Blatt zum Vorschein. Waxillium kniete sich auf den Boden, was ihr wegen ihres Rockes nicht möglich war. Also bückte sie sich bloß und blickte ihm über die Schulter.
» Stammbäume?«, fragte sie überrascht. Anscheinend hatte er die Verwandtschaftsverhältnisse jeder entführten Frau bis zum Ursprung zurückverfolgt. Er hatte mit ihren Namen begonnen, die ganz links auf dem langen Blatt standen, und war dann durch die Zeit zurückgegangen. Nicht jeder Verwandte war verzeichnet, aber für jede Geisel hatte er die unmittelbaren Vorfahren sowie einige besonders bemerkenswerte Namen in jeder Generation verzeichnet.
» Also?«, fragte er.
» Allmählich komme ich zu der Ansicht, dass Sie ein seltsamer Mann sind, Großherr«, sagte sie. » Damit haben Sie die ganze Nacht verbracht?«
» Es hat einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen, ja. Aber Waynes Bericht war eine gute Grundlage für mich. Zum Glück gibt es in der Bibliothek meines Onkels eine große genealogische Abteilung. Ahnenforschung war sein Hobby. Aber was halten Sie davon?«
» Ich glaube, es ist eine gute Sache, dass Sie sich bald verloben, denn eine fürsorgliche Frau hätte schon dafür gesorgt, dass Sie Ruhe finden, statt die ganze Nacht bei Kerzenlicht zu schreiben. Das ist schlecht für Ihre Augen.«
» Wir haben Elektrizität«, sagte er und deutete zur Decke. » Außerdem bezweifle ich, dass sich Steris um meine Schlafgewohnheiten kümmern wird. Davon steht nämlich nichts im Ehevertrag.« Eine Spur Bitterkeit lag in seiner Stimme – schwach, aber erkennbar.
Das meiste hatte sie nur gesagt, um ihn einige Augenblicke hinzuhalten, damit sie einige der Namen lesen konnte. » Allomanten«, bemerkte sie. » Sie haben die Stammbäume nach allomantischen Kräften abgesucht. Sie alle kommen im Nebelgeborenen zusammen. Hat Wayne nichts darüber gesagt?«
» Doch«, meinte er. » Ich glaube, dass derjenige, der hinter alldem steckt, nach Allomanten sucht. Er stellt eine Armee zusammen. Er wählt die Geiseln gezielt aus, weil er vermutet, dass sie insgeheim Allomanten sind. Die Tatsache, dass sie nie offen darüber gesprochen haben, erschwert es, seine Absichten zu erkennen.«
» Aber ich kann Ihnen versichern, dass Steris keine Allomantin ist.«
» Das hat mir eine Zeitlang zu denken gegeben«, gab er zu. » Aber eigentlich ist es nicht wichtig. Er wählt Personen aus, von denen er glaubt, sie seien Allomanten. Aber manchmal irrt er sich halt.« Waxillium tippte auf das Papier. » Und deswegen mache ich mir große Sorgen um sie. Sobald der Hintermann erkennt, dass sie nicht das ist, was er erwartet hatte, schwebt sie in großer Gefahr.«
Und deshalb bist du die ganze Nacht aufgeblieben, erkannte sie. Du glaubst, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt.
Und all das für eine Frau, die er offensichtlich nicht liebte. Da war es schwer, nicht eifersüchtig zu werden.
Wie bitte?, dachte sie. Dann hättest du dich wohl lieber selbst entführen lassen? Dummes Mädchen.
Sie bemerkte, dass ihr eigener Name ebenfalls auf der Liste stand. » Sie kennen meinen Stammbaum?«, fragte sie überrascht.
» Ich musste ihn mir besorgen«, sagte er. » Das hat einige Kanzleiarbeiter ziemlich wütend gemacht, weil es mitten in der Nacht war. Sie sind sehr merkwürdig, Marasi.«
» Wie bitte?«
» Äh, ich meine, was diese Liste angeht. Sehen Sie? Sie und Steris sind Cousinen zweiten Grades.«
» Und?«
» Das bedeutet, dass Sie … es ist etwas schwierig zu erklären. Mit dem Hauptstamm sind Sie nur im sechsten Grad verwandt. All die anderen – einschließlich Steris – sind viel enger damit verwandt. Die Seite Ihres Vaters verwässert Ihre Abstammung. Das macht Sie zu einem merkwürdigen Ziel, wenn man Sie mit den anderen vergleicht. Ich frage mich, ob man Sie genommen hat, weil man wahllos jemanden aussuchen und das Muster durchbrechen wollte, damit wir im Dunkeln tappen.«
» Möglich«, sagte sie vorsichtig. » Sie haben schließlich nicht gewusst, dass Steris an unserem Tisch gesessen hat.«
» Das stimmt. Aber hier geraten wir in Spekulationen. Mir sind eine Menge Gründe eingefallen, warum Steris zum Opfer wurde. Die Beziehung zu den Allomanten ist nicht der einzige Grund. Wegen der Nähe zu den höchsten Gesellschaftsschichten gibt es noch viele andere Möglichkeiten.
So wie ich es sehe, ist der Allomantiefaktor
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