Jäger der Nacht (German Edition)
Wohnzimmer und nahm ihre übliche Position auf dem Sessel ein. Die Überwachung hatte begonnen, sobald sie den Raum betreten hatte, aber nun saßen sie bestimmt gespannt vor dem Bildschirm in Erwartung einer Sitzung. Doch stattdessen errichtete sie im Kopf die stärksten Sperren, derer sie habhaft werden konnte – selbst wenn sie die Visionen nicht gänzlich unterdrücken konnte, war sie doch in der Lage, sie zumindest eine gewisse Zeit aufzuhalten – und fing an zu lesen.
Zwei Stunden später, sie war am Ende des Buches angelangt, wusste sie, dass die Beobachter langsam ungeduldig wurden. Sie hatte den Sessel noch nie für so alltägliche Dinge benutzt. Faith griff nach einem zweiten Buch. Zehn Minuten später läutete die Kommunikationskonsole. Mit der Fernbedienung schaltete sie den Bildschirm ein, der auf ihren Sessel gerichtet war.
„Vater.“
Diese Bezeichnung hatte nur die Funktion, ihn anzusprechen. Denn auch wenn das Blut in ihren Adern zur Hälfte seines war, war Anthony Kyriakus außerhalb seiner Leitungsfunktion im Clan doch ein Fremder für sie. „Faith. Die Mediziner haben mir von einem ungewöhnlichen Verhalten deinerseits berichtet.“
Jetzt kommt es, dachte sie, er wird eine vollständige körperliche und geistige Untersuchung verlangen. „Vater, meinst du, es wäre ein Eingriff in deine Rechte als freier Bürger, wenn man dich im Medialnet überwachte “ – eine völlig vernünftige Frag e – , „oder könnte ich dich beschatten, wann immer ich wollte?“
Anthonys braune Augen sahen sie kalt an. „Es geschah nur zu deinem eigenen Schutz.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Sie nahm ihr Buch wieder auf. „Da ich mich anscheinend nicht ungestört informieren kann, werde ich das nun in aller Öffentlichkeit tun.“ Das war eine sehr dezente Drohung.
„Du hast nie das Bedürfnis nach völliger Isolation geäußert.“
Isolation, nicht etwa Privatsphäre. Kristallklar stand ihr vor Augen, wie man sie all die Jahre auf einen bestimmten Pfad gelenkt hatte. Doch er hatte auch recht – sie brauchte eine Erklärung für eine dermaßen große Veränderung. Ihr fiel etwas ein, das sie im Medialnet gehört hatte, und sie hatte plötzlich eine Idee.
„Es könnte doch sein, dass eine der seltenen kardinalen V-Medialen, nun, da sie erwachsen ist, sich nach anderen Möglichkeiten umschau t … die sicher nicht jemandem offenstehen, der einen Babysitter braucht.“
Sie sah Anthony an, dass er sofort verstanden hatte, worum es ging, er hatte sicher schon selbst Überlegungen in diese Richtung angestellt. „Das ist sehr gefährlich. Nur die Stärksten überleben.“
„Deshalb darf ich auch nicht schwach wirken.“
„Weißt du schon Genaueres?“
„Ich werde dich informieren, wenn es so weit ist.“ Eine unverfrorene Lüge, es würde nicht so weit kommen, ganz egal, was Anthony jetzt glaubte. Der Rat würde kaum eine weltfremde Hellsichtige als mögliches Mitglied in Betracht ziehen. Aber was ihre Privatsphäre anging, war es eine perfekte Ausrede.
Etwas Grausames und Hässliches zeigte sich jetzt an den Sperren, die sie gegen die Visionen errichtet hatte, sie musste hier raus, bevor es explodierte und sie verriet. Vorhersagen in Geschäften kündigten sich nie so stark, so aggressiv an. Sie legte das Buch zur Seite und stellte die Füße auf den Boden. „Wie lautet deine Antwort, Vater?“
„Ein ungestörtes Privatleben ist das Recht eines jeden Bürgers.“ Er nickte. „Aber sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“
„Selbstverständlich.“ Ohne sich zu verabschieden, stellte sie den Bildschirm ab. Schon als Kind hatte sie herausgefunden, dass Abschiedsgrüße sich in ihrer Situation erübrigten. Aber zumindest würde man sie jetzt im Medialnet in Ruhe lassen, damit war sie einen großen Schritt weiter. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand Verdacht schöpfen – selbst die Informationen über Sascha hatte sie einer offiziellen Verlautbarung entnommen. Doch ihre weiteren Nachforschungen würden nicht mehr so harmlos sein.
Wieder drückte etwas gegen ihren Geist. Sie verließ den Raum und zwang sich, etwas Wasser zu trinken und ein paar Energieriegel aus dem Kühlschrank zu holen. Als sie einen davon in die Hand nahm, sah sie sofort Vaughns spöttisches Lächeln vor sich. Sie wusste genau, was er zu dieser „Nahrung“ sagen würde, und obwohl es ein gefährliches Spiel war, gestattete sie sich, auf dem Weg zum Schlafzimmer nur an ihn zu denken. Sie legte den
Weitere Kostenlose Bücher