Jäger der Nacht (German Edition)
Lücke würde sich nie wieder füllen. Nie wieder. „Ich muss jetzt erst mal laufen.“
Doch obwohl Vaughn bis zur völligen Erschöpfung lief, fand sein Tier in der Freiheit diesmal keinen Tros t – er war gefangen, war im tiefsten Innern mit einer Frau verbunden, die ihn zerstören konnte.
Faith vermisste ihren Jaguar so stark, dass sie Mühe hatte, sich normal zu verhalten.
Im kalten Licht des frühen Morgens schlenderte sie auf dem Gelände herum und überlegte, wie sie einen weiteren nächtlichen Ausflug arrangieren könnte. Dabei dachte sie an Vaughn, an seine intensive Gegenwart und, ja, auch an seine Berührungen. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie fast in einen Wachposten hineingelaufen wäre. Das allein wäre noch nicht schlimm gewesen. Aber beinahe wäre sie erschreckt zurückgesprungen.
Sie konnte diese Reaktion gerade noch unterdrücken und senkte den Kopf. „Entschuldigung, ich habe nicht auf den Weg geachtet.“
„Es war mein Fehler.“ Der Wachposten nickte kurz und ging weiter.
Sie zwang sich dazu, in die andere Richtung zu gehen, während in ihren Adern das Blut rauschte. Vorsichtig, sagte sie sich. Ein einziger Ausrutscher genügt. Sie beschloss, sich mit etwas weniger Aufregendem abzulenken, setzte sich auf eine schmale Gartenbank und schlug die virtuelle Akte auf, die sie von Anthony bekommen hatte.
Kaleb Krycheks bisheriges Leben war sehr interessant. Er war mit den Fähigkeiten eines kardinalen TK -Medialen auf die Welt gekommen, obwohl seine Eltern nur einfache TP -Mediale ohne besondere Fähigkeiten waren. Daher war er beinahe wie Faith aufgewachsen und hatte fast seine ganze Kindheit in einer Ausbildungseinrichtung verbracht. Anthony hatte herausgefunden, dass einer der Trainer des jungen Kaleb niemand anderer als Santano Enrique gewesen war. Faith wusste nicht, auf welche Weise Enrique verschwunden war, aber diese Information konnte sie als Waffe verwenden, wenn es nötig sein sollte.
Kaleb hatte fast gleich im Anschluss an den erfolgreichen Abschluss des Programms einen Posten beim Rat bekommen. Seine Karriere war phänomenal verlaufen, vor allem wenn man bedachte, dass er ein Kardinalmedialer war – die meisten Kardinalmedialen, die für den Rat arbeiteten, waren zu sehr in ihrem Kopf zu Hause, um sich für Politik und Macht zu interessieren.
Faith blätterte weiter und stieß auf eine Liste mit vermissten Personen. Mindestens zehn hochrangige Mitarbeiter des Rats waren unter geheimnisvollen Umständen verschwunden, und jedes Mal hatte Kaleb davon profitiert. Doch man hatte nie eine Spur zu ihm zurückverfolgen können – eine Tatsache, die ihn für die besonders gefährlichen Mitglieder des jetzigen Rats nur noch interessanter machte.
Im Vergleich dazu war Faith ein einfältiges Ding aus den Wäldern. Was die Frage aufbrachte, warum sie überhaupt Kandidatin geworden war. Sie wollte sich gerade noch weiter in Kalebs Akte versenken, als sie etwas spürte. Die Dunkelheit klopfte an. „Nein, nicht jetzt.“ Nach drei Tagen Ruhe wollte sie nicht ausgerechnet am helllichten Tag heimgesucht werden.
Zuerst wollte sie dagegen ankämpfen, damit die letzte heimtückische Attacke sich nicht wiederholte. Aber sie hatte genug davon wegzulaufen. Wenn sie sich mit einem Jaguar einlassen konnte, ohne dabei ihr Leben zu lassen, konnte sie vielleicht auch mit dieser hässlichsten Facette ihrer Fähigkeiten fertig werden.
Faith stieß den angehaltenen Atem aus, ließ sich überrollen und nahm seinen Triumph wahr. Sie sah durch seine Augen, zwang sich, anzuschauen, was noch nicht geschehen war. Die Zukunft konnte verändert werden, konnte sich wandeln. An einem bestimmten Tag in naher Zukunft würde er das Opfer aus seinen Fantasien verfolgen und es sich greifen. Faith sah sich das Opfer genau an, versuchte herauszufinden, wer sie war, wo sie sich befand und, das Wichtigste, wann es passieren würde.
Die Unbekannte trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, die Farbe ihrer Hau t – ein Weiß mit leicht bläulichem Unterto n – kam aufgrund der seit Generationen stattfindenden Vermischung unter den Medialen nur noch sehr selten vor. Die kalte Ausdruckslosigkeit ihres Gesichtes wies sie eindeutig als Angehörige der Medialen-Rasse aus. Sie hatte weißblonde Haare, die zu ihrer Haut passten, und ihre Augen waren leuchtend blau. Sie sah überhaupt nicht wie Marine aus.
Und, flüsterte es in Faith, der Mörder fühlt auch nicht dasselbe wie bei Marine. Die damaligen
Weitere Kostenlose Bücher