Jäger der Nacht (German Edition)
Sie bitte dafür, dass ich mindestens zwölf Stunden nicht gestört werde, wenn ich mich zur Ruhe begebe.“
„Ist notiert.“
„Vielen Dank.“
Da sie wusste, dass man jedes ungewöhnliche Verhalten ihrerseits genau untersuchen würde, um Stress vorzubeugen, zwang sie sich, ihrem normalen Tagesablauf zu folgen. Sie ging in die Küchenzeile und goss sich einen Energiedrink ein, der fast alle Vitamine und Mineralstoffe enthielt, die sie brauchte, dann aß sie bewusst langsam zwei Energieriegel. Danach speicherte sie die angekündigten medizinischen Untersuchungsergebnisse auf ihrem Organizer und setzte sich ins Wohnzimmer, um sie sich anzusehen.
Sie hatte die Absicht, diese Informationen mitzunehmen, wenn sie verschwand. Es war wahrscheinlich das letzte Mal, dass sie solche detaillierten Daten in die Hand bekam, die für V-Mediale von unschätzbarem Wert waren, weil sie jeden Bereich des Gehirns abdeckten. Darunter auch denjenigen, der für geistigen Verfall besonders anfällig war. Denn ganz egal, was passierte, sie war immer noch eine V-Mediale mit entsprechend höherem Risiko, wahnsinnig zu werden.
Nach nur zwei Stunden streckte sie sich und ging ins Schlafzimmer, den Bericht immer noch vor Augen. Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sie die Maske fallen und packte schnell ein paar Dinge in ihren Rucksack, die sie unbedingt mitnehmen wollte. Es war nicht viel: ihr Organizer, ein Hologramm von Marine, das sie von der Datenbank des Clans heruntergeladen hatte, und eins von ihrem Vater. Er würde sie zwar nach diesem Abend für eine Verräterin halten, aber trotz seiner Kälte war er die einzige Konstante in ihrem Leben gewesen, und sie würde ihn vermissen. Dann noch Wechselwäsche und fertig. Was für ein armseliger Abschluss ihres bisherigen Lebens.
Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, läutete überraschend die Kommunikationskonsole. „Ja“, antwortete sie auf dem Audiokanal.
„Ihr Vater wünscht Sie zu sprechen.“
„Ich werde den Bildschirm einschalten.“
„Das ist nicht nötig – er steht vor dem Tor.“
Ihre schon zum Einschalten erhobene Hand fiel herunter, ihr Mund war plötzlich völlig ausgetrocknet. „Ich treffe ihn draußen.“ Sie hatte etwas anderes sagen wollen, aber wieder einmal hatte sich eine Vorahnung in den Vordergrund geschoben.
Faith unterbrach die Verbindung, verließ das Haus und ging den Weg entlang, der zum Tor führte. Bisher hatte Anthony sie nur persönlich aufgesucht, wenn er mit ihr vertrauliche geschäftliche Dinge besprechen wollte; hier draußen war Privatsphäre am leichtesten herzustellen. Ihr fielen zwei Gründe für seinen überraschenden Besuch ein: Entweder es war einfach nur die Bitte um eine besonders vertrauliche Vorhersage oder es ging um eine weit tückischere Angelegenheit – ihre mögliche Nominierung für den Rat.
Anthony kam ihr entgegen. Ein großer Mann, dessen Haut um zwei oder drei Schattierungen dunkler war als ihre und dessen schwarze Haare an den Schläfen silbern schimmerten. Mit seinem schwarzen Anzug, dem weißen Hemd und dem blauen Schlips war er das perfekte Abbild eines Medialen. Wie würde er reagieren, wenn er von ihrem geplanten Verschwinden erführe?
Er würde mich mit allen notwendigen Mitteln davon abhalten.
„Vater?“
„Lass uns ein wenig gehen, Faith.“ Er verließ den Hauptweg und nahm einen Pfad, der tiefer ins Gelände hineinführte. „Ich habe beunruhigende Neuigkeiten.“
Trotz der frühnachmittäglichen Sonne strich ein kalter Wind über ihren Körper. „Kaleb Krychek?“
Zu ihrer Erleichterung nickte er. „Man sagt, er wolle dem Rat keine Wahl lassen.“
„Das haben wir doch erwartet.“
„Ich möchte, dass du aus dem Rennen aussteigst.“
„Wie meinst du das, Vater?“ Überrascht drehte sie sich zu ihm und sah ihn an.
Anthony blieb neben ihr stehen. „Du bist nicht für den Angriff ausgebildet. Kaleb konnte das jahrelang trainieren.“
„Ich weiß, abe r … “
„Du bist zu wertvoll, man darf nicht riskieren, dass dir etwas zustößt.“
Also wog der Profit, den sie einbrachte, schwerer als der Ehrgeiz ihres Vaters. „Verstehe. Geschäft ist Geschäft. Und wenn ich die Sache trotzdem weiterverfolgen will?“
„Wird dich der Clan selbstverständlich unterstützen. Aber sieh mal, Faith. Als kardinale V-Mediale hast du doch bereits genügend politischen Einfluss, wenn du das willst.“
„Ich bin vollkommen isoliert.“
„Das kann man ändern, wenn du es
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