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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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noch nie passiert.
     
    Kevin saß gerade und aufrecht auf dem Diwan – Füße zusammen, Hände im Schoß gefaltet – und sah sich im Zimmer um, als ob es ein Museum wäre. Er sprach leise. «Hierher zu kommen, das ist... weiß nicht... das ist, als ob man in eine andere Zeit kommt.»
    Bruce zuckte die Achseln. «Das meiste von diesem Zeug... na ja, es kommt aus einer anderen Zeit.»
    «Warum behältst du es?»
    Bruce grinste. «Weil es alt ist. Es ist ordentlich. Und es ist bequem.» Er strich mit der Hand über die Lehne des Diwans. «Und außerdem: Mir gefällt es.»
    Kevin sah ihn an – wieder diese Augen. «Mir gefällt es auch.» Pause. Kevin schien verkrampft.
    «Möchtest du etwas Saft... Sprudel?»
    «Sprudel wäre gut.»
    Als Bruce mit einer Dose Cola und einem Glas Brandy für sich aus der Küche zurückkam, hatte Kevin seine Windjacke ausgezogen und saß auf dem Diwan, wobei er sich vorsichtig hinten anlehnte. Als Bruce mit der Cola näherkam und sie ihm gab, schien Kevin auch die kleinste seiner Bewegungen mit den Augen zu verfolgen.
    «Danke», sagte Kevin und nahm einen Riesenschluck, als wäre er am Verdursten.
    Bruce schaltete das Radio ein, und leise Musik klang durch den Raum. Er setzte sich in den Sessel neben dem Diwan, schwenkte behutsam den Brandy, nahm dann einen kleinen Schluck und sah Kevin über den Rand seines Glases hinweg an. In der trauten Stimmung und dem milden Licht sah Kevin sogar noch schöner aus. Bruce dachte, daß er diese Sorte kennen würde – runter mit den Klamotten, los mit der Nummer und innerhalb einer Stunde zurück zur Hafenstraße, mit einem Zwanziger oder Fünfziger verstaut in der Gesäßtasche.
    Aber abgesehen von der Windjacke, die neben ihm auf dem Diwan lag, machte Kevin keinerlei Anstalten. Er nippte lediglich an seiner Cola und sah Bruce an. Bruce war sich sicher, daß Kevin die Spielregeln kannte; er war im Savoy Hotel gewesen. Aber der Junge schien nach seinen eigenen, abweichenden Regeln zu spielen, und Bruce war sich nicht ganz sicher, wie sie lauteten. Das jedoch steigerte in Bruce das Gefühl der Erregung. Er dachte, daß es an der Zeit wäre, die Sache in die Hand zu nehmen; aber je eher er das tat, desto eher würde der Junge wieder gehen. Und diesmal, so merkwürdig es war, wollte er das nicht eintreten lassen. Er wollte mehr als eine Stunde. Während er auf den richtigen Zeitpunkt wartete, malte er sich aus, daß sie einfach einen ruhigen Abend zu Hause verbrächten, so wie er und Amory es so oft getan hatten. Er war sich natürlich bewußt, daß der Abend nicht irgendwie leidenschaftlich im Bett enden würde. Teil des Vergnügens mit Strichern war es, aus ihnen eine zaudernde und unbeholfene Reaktion herauszulocken, die sie in ihrer Vorstellung von Männlichkeit zu unterdrücken versuchten. Ihr Erschauern war ein Gewinn; ihre ausgestreckten und zupackenden Arme ein Sieg; die Macht ihres Orgasmus’ war eine Enthüllung, die man für einen kurzen Moment mit ihnen teilte, bevor sie sich wieder in ihre Vorstellung von Männlichkeit zurückzogen und sich zur Rechtfertigung ans Geld klammerten.
    Dieses Vergnügen, wußte Bruce, konnte todernst sein. Nur in diesen kurzen Momenten konnten viele Jungs dieser Enthüllung über sich selbst ins Auge sehen. Blieb ihre eigene Natur verborgen und quälerisch nagend, konnte sie nicht nur sie selbst zerstören, sondern auch – in Anfällen von Alkohol, Wut und Verzweiflung – die Menschen um sie herum. Aber in solchen vereinzelten Augenblicken könnten sie die Einsicht gewinnen, sich ihrer Natur entsprechend zu verhalten; das kostete seinen Preis, ja, aber bei weitem nicht den Preis, den das Verleugnen erforderte.
    Kamen sie denn nicht nur wegen des Geldes in die Hafenstraße, sondern um ihrem geheimsten Verdacht nachzugehen – in der Hoffnung, daß ihr Widerstand gegen die einschmeichelnde Liebkosung, die ihnen vom Freier gespendet wurde, diesen Verdacht besänftigen könnte? Wenn das so war, dann war nach Bruces   Erkenntnis nur selten ein Verdacht beruhigt, sondern meist bestätigt worden. Dennoch, der Widerstand war da, und er bedauerte das am meisten bei Jungen, deren Not und Verlangen so offensichtlich war, offenbart bei unzähligen Gelegenheiten. Er erinnerte sich an seine eigene Jugend und versuchte, nachsichtig zu sein.
    Aber dennoch, dieses Spiel gab es nun mal, und er war ein Experte im Entlocken von Gefühlen. Er sah wieder zu Kevin und fragte sich, welchen Widerstand er ihm entgegenbringen

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