Jäger der Nacht
verlassen.»
«Kommt nicht in Frage.»
«Es macht dir nichts aus, daß ich hier zusammengeklappt bin?» Bruce ging quer durch das Zimmer zum Bett und setzte sich
neben Kevin. «Bin froh, daß du’s getan hast. Irgendwo mußtest du ja zusammenklappen.»
«Ja.» Er streckte eine Hand aus und legte sie auf Bruces Knie.
«An viel kann ich mich nicht erinnern. Nicht nach dem Friedhof. Außer, daß ich hierher wollte. Das war alles.»
«Warum bist du nicht nach Hause gegangen?»
Kevins Gesicht umwölkte sich, und er hatte Schwierigkeiten, die Worte herauszubekommen. «Mein kleiner Bruder. Er war einer von ihnen. Wenn ich nach Hause gegangen wäre, hätte ich ihn vielleicht umgebracht.»
Bruce fühlte wieder dieses Frösteln. Was machte dieser Junge durch? «Es ist richtig, daß du hierhergekommen bist.»
Kevin blickte starr geradeaus, und seine Hand umschloß Bruces Knie fester. Tränen traten ihm in die Augen und begannen, ihm langsam über die Wangen zu laufen. Mit einer aufbäumenden Bewegung warf sich Kevin in Bruces Schoß, schlang die Arme um seine Taille, und dann begann er zu schluchzen.
Bruce legte seine Arme um die zitternde Gestalt und hielt Kevin eng an sich gedrückt. Die keuchenden Geräusche wurden schließlich zu genuschelten Worten, abgerissenen Sätzen, brutal wie die Straße der Großstadt. «Kleiner Bruder... LSD... ein Monster... Augen wie eine Ratte... tut einfach alles... nur um sich auf die Seite von Max und Arnie zu schlagen... zieht mich zu sich runter... bietet meinen Arsch an... nur um Stoff von ihnen zu kriegen... was ist das nur für ein kleiner Bruder?»
Kevin fuhr hoch und sah Bruce mit roten, tränenverschwommenen Augen an. «Aber er ist Abschaum... nichts als Abschaum!» Die Augen blitzten auf. «Wenn schon mein Arsch angeboten wird, dann bin ich es, der ihn anbietet!» Plötzlich neigte er den Kopf nach vorn, und seine Stimme wurde leiser. «Ja, ich biete meinen Arsch an. Ja, ich bin ein Stricher. Du hast mich bezahlt, weißte doch.» Er hob seinen Kopf, und die Tränen begannen wieder zu fließen. «Und ich hab’ das Geld genommen! Hab’s vor dir genommen! Dabei... dabei... war es für mich das Größte in der Welt... eben mit dir zusammenzusein... und dafür hab’ ich Geld genommen!»
Er schüttelte seinen Kopf. «Nun ja, ich brauchte das Geld. Das sagen sie doch alle, nicht wahr? Sie haben’s mir beigebracht, als ich damit anfing... von wegen ‹Ich habe eine kranke Mutter, und ich brauche das Geld›. Ha! Stimmt schon, ich hab’ ‘ne kranke Mutter, krank vom Suff, aber ich brauch’ das Geld nicht für sie. Ich brauch’ das Geld, um was zu essen zu kaufen.»
Bruce war platt. «Essen?»
«Ja, essen. Die ersten Tage, nachdem die Zahlungen gekommen sind – Sozialamt und Jakes Pension –, essen wir ganz gut, aber nach einem Weilchen gibt’s nichts mehr im Kühlschrank außer Sechserpacks Bier und Whiskyflaschen. Ich hab’ immer Äpfel und Bananen vom Obststand in der Houghton Street geklaut, aber der Typ, dem der Stand gehört, hat mich dabei erwischt. Danach war McDonald’s dran. Aber für McDonald’s braucht man Geld. So... geh’ ich eben runter zur Hafenstraße und beschaff mir Geld.»
«Weiß das Sozialamt davon?»
Kevin schnaubte verächtlich. «Sozialamt? Miss Gotter? Na, Mutti zieht ‘ne ganz schöne Show für sie ab! Die Leier von wegen ‹leibliche Mutter›. Sie bringt sogar das Haus auf Vordermann. Und dann watschelt Miss Gotter rein und sieht sich um und watschelt raus, und Millie hängt wieder an der Flasche.»
Kevins Stimme wurde matt. «Eines Tages wird sie sterben. Sie wird dünner und dünner und wird zu einem Nichts verpuffen. Nichts wird übrigbleiben...»
«Was geschieht dann mit dir?»
Kevin zuckte mit den Achseln. «Weiß nicht. Bei Jake werd’ ich nicht bleiben, das ist sicher.»
«Wer ist Jake?»
«Der Typ, mit dem meine Mutter zusammenlebt. Er hat einen dicken Bauch und fuhr eine Straßenbahn, als er jung war. Er ist ganz versessen auf Straßenbahnen. Da hält mich nichts. Ich nehm’ an, Miss Gotter wird herumwatscheln und irgendwelche neuen Pflegeeltern für mich finden. Aber wozu brauch’ ich die? Ich werd’ sechzehn. Ich kann mir ‘nen Job suchen.»
«Du solltest die Schule beenden... zumindest die High School.» Mit einem Seufzer: «Ja, ich weiß.» Bruce fühlte sich bis auf die Knochen beobachtet. «Ich wette, du bist aufs College gegangen.» Bruce nickte.
«Muß schon was sein, aufs College zu gehen.»
«Es ist
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