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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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Mr. Graham Kanäle im Geschichtsunterricht erwähnt hatte.
    Bruce verschloß den Wagen, und sie folgten einem Pfad zwischen den Bäumen. Sonnenstrahlen stahlen sich gedämpft durch die Baumkronen und schienen auf die trockenen Blätter, die unter ihren Füßen knackten. Bruce ging vor ihm. Er trug ein offenes weißes Hemd und braune Hosen. Wie er so vor ihm ging, beobachtete Kevin die Bewegungen seines Körpers – den Bau seiner Schultern, die Leichtigkeit seines Ganges, die geschwungene Linie seiner Hüften, alles tadellos und gut in Schuß. Und ihn überkam ein Gefühl von besitzergreifender Vertraulichkeit. Bruce würde ihm das ganze Wochenende über gehören!
    Nach einer Wegbiegung sah Kevin vor sich ein kleines, gemauertes Haus mit einem Schieferdach. Im ersten Moment zuckte er zurück. Es sah wie das Haus auf dem Friedhof aus. Aber als er näher kam, sah er, daß es einsam an einem von Steinen eingefaßten Wasserstrom stand. Ein Stück dahinter konnte man durch die Bäume das breite Band des Flusses erkennen.
    Es war niemand zu sehen, und die absolute Verlassenheit dieses Ortes erfüllte Kevin mit der ahnungsvollen Erregung, die er empfunden hatte, als er zum ersten Mal die Mirabelle gesehen hatte. Hunderte von unbekannten Menschen waren von der Zeit dahingetragen worden und hatten nur ihre Monumente hinterlassen. Ihre Gegenwart war so gespenstisch wie auf dem Friedhof, und das, was sie hinterlassen hatten, strahlte eine geheimnisvolle und stumme Macht aus. Er fragte sich, wie diese Leute ausgesehen hatten, wie sie gelebt, gesprochen und gearbeitet hatten. Gab es   unter ihnen welche, die schwul waren? Das, so wußte er, würde er niemals von Mr. Graham erfahren! Aber dennoch... welche Geister trieben sich hier herum? Welche von ihnen waren in Wirklichkeit keine Fremden, sondern vielmehr versteckte Blutsverwandte? Mr. Graham konnte ihm das nicht sagen, weil Mr. Graham nicht Bescheid wußte.
    Kevin folgte Bruce zum Rand des Kanals gegenüber vom Steinhaus. Das Wasser floß zwischen Steinmauern. Am oberen Ende, nahe dem Haus, befand sich ein großes gußeisernes Wehr mit einem mächtigen, eisernen Räderwerk an der Seite. Das Wasser schwappte über das Wehr und kräuselte das Wasser in der Schleuse. Flußabwärts war ein zweites geschlossenes Wehr, und der Wasserstand dahinter war sogar noch niedriger. Das Wasser war klar, aber leicht braun getönt. Als er sich hinüberbeugte, konnte er das Laub auf dem Grund sehen. Er trat einen Schritt zurück und schloß sich wieder Bruce an. Der Grund des Kanals sah tief aus, und die Strömung des Wassers, nahezu unsichtbar, schien eine finstere Macht zwischen der strengen Steineingrenzung auszuüben. Über Kevins Kopf war das Geäst der Bäume weitausladend; ihr Grün bildete einen Gegensatz zu dem Grau der Steine und den erdigen Farben unter seinen Füßen.
    Bruce war am Reden. Seine Stimme hatte einen schneidenden Unterton. «Das hat damals so funktioniert, daß ein Lastkahn flußabwärts fuhr, das obere Wehr öffnete sich, und der Kahn glitt in die Schleuse. Dann schloß der Schleusenwärter, der in dem Steinhaus wohnte, mit dem Räderwerk da drüben das obere Schleusentor. Dann öffnete er gemächlich das untere Schleusentor, der Wasserspiegel senkte sich, und der Lastkahn fuhr durch das untere Tor mit Kurs auf die Stadt flußabwärts.»
    Kevin folgte Bruces ausgestrecktem Arm mit den Augen und konnte nahezu den schwerbeladenen Lastkahn an ihnen vorbeischwimmen sehen. «Wodurch wurde der Lastkahn angetrieben?»
    «Maultiere.»
    «Maultiere?»
    «Maultiere.»
    «Schwimmende Maultiere?»
    «Nein. Sie gingen über den Pfad, genau da, wo wir jetzt stehen, und zogen den Kahn an einem langen Tau.»
    Instinktiv trat Kevin einen Schritt zurück, als hätte er Angst, von einem Maultier umgerannt zu werden.
    Bruce legte ihm einen Arm um die Schulter. «Sieh mal darunter. Siehst du den kleinen Steg?»
    Kevin spähte flußabwärts und sah eine spinnennetzartige Konstruktion, die den Kanal überspannte.
    «Wenn nun der Lastkahn aus der Schleuse kam, dann war unter der Brücke gerade genug Platz für die Ladung und die Maultiere. So rief dann der Schiffer ‹Ni...e...dri...ge Brücke›. Und die ganze Mannschaft duckte sich.»
    Kevin duckte sich.
    Als er sich wieder aufrichtete, lachte er. Dann ahmte er Bruce nach, der seinerseits augenscheinlich jemanden nachahmte, und rief: «Ni...e...dri...ge Brücke.»
    Nun duckte sich Bruce.
    Kevin zerrte an Bruces Hemdsärmel. «Komm los, ich

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