Jäger des Einhorns
gut ging. Die Krieger hatten nicht aufgehört, ihre Wachsamkeit und ihre Waffen scharf zu halten. Die Ruderer spannten unter Deck ihre Muskeln. Frischwasser und Vorräte wurden eingelagert.
»Und hier leben und hoffen Ergyse und seine Getreuen!« sagte Hesert und ließ die Schreibkohle fallen. »Zufrieden, Casson? Ich allerdings möchte bald ein Bad nehmen. Der graue Staub leuchtet zwar, aber er ist unangenehm.«
»Sehr zufrieden. Warte noch ein paar Tage. Dann sind wir dem Einfluß der Lagunenstadt entkommen.«
Flößer und Krieger verständigten sich. Sie würden den Augenblick abwarten, an dem sie durch die Masse der Neugierigen in ihren Handlungen am meisten geschützt waren.
»Ihr kennt den Fluchtplan ganz genau?«
»Jeden Schritt«, bestätigte Giryan und stand auf, »und jeden einzelnen Handgriff. Alle unsere kräftigen Männer werden euch helfen. Wie ihr sie erkennt, wißt ihr.«
Tempelwächter und calcopische Krieger, die am Festtag überall sein würden, waren diejenigen Gegner, die man klar erkannte. Andere Gegner verbargen sich im Dunkel.
»Und Kaizan?« fragte Casson voller böser Vorahnungen. »Hat jemand von euch den Dunkeljäger gesehen? Er ist unser größter Gegner, weil er der Klügste von allen zu sein scheint.«
Stumm schüttelten die anderen die Köpfe. Der Schatten, der sie in den letzten Tagen stets begleitet hatte, war verschwunden.
»Wir geben die Signale«, schloß Rauco die kleine Versammlung, »und dann muß alles ineinandergreifen wie die Hände von Freunden.«
»Auf die Flößer von Yucazan kannst du dich verlassen, Kukuar!« versicherte der Floßvater.
*
Zwischen den großen, zungenförmigen Flammen und dem Dunkeljäger waren zwei Metallschilde in tiefen Schlitzen im Stein aufgestellt. Sie sammelten das Licht und warfen es an die gegenüberliegende Mauer, die mit Kalkbrei weiß gefärbt worden war. Kaizan saß im Dunkel; seine Gestalt war nur undeutlich, seine Gesichtszüge waren gar nicht zu erkennen.
Der Mann, der ihm gegenüber an die Mauer gekettet war, stöhnte leise. Er wußte nicht, wo er war. Drei bewaffnete Calcoper hatten ihn auf Befehl des Dunkeljägers gepackt, bewußtlos geschlagen und hierher gebracht. Vor dem inneren Auge des Fremden war eine andere, dunkle Welt entstanden, eine verhängnisvolle Szenerie der Magie – aber er mußte sie für die Wirklichkeit halten.
Die Stimme Kaizans klang schauerlich hallend und vibrierte. In ihr war der gesammelte Ausdruck dessen vereinigt, das der namenlose Fremde als seine Träume von Schrecken und Chaos erkannte.
»Hesert ist nicht Hesert. Er ist Magier. Er heißt Varamis«, stöhnte der Mann. Kaizan stützte seinen Kopf schwer in die Hände und konzentrierte sich auf seine magischen Fähigkeiten. Er war es, der alle Schrecknisse dieser Welt auf den Mann herabbeschwor, der sich in seinen engen Fesseln aufbäumte und an den schweren eisernen Ringen riß. Kaizan stellte die nächste Frage.
Sein gemarterter Gefangener ächzte:
»Wir haben die echten Lyrländer auf der Insel Tay ausgesetzt. Wir haben ihnen nichts getan… auch die Waffen gelassen!«
Ich habe also doch mit allen Gedanken recht gehabt! sagte sich Kaizan und fragte weiter.
Die Antworten kamen stoßweise, aber der fremde Dämonendiener verschwieg nicht die geringste Einzelheit.
»…sind hier, um Kapitän Ergyse zu befreien… Casson ist Luxon, der Shallad… der Schiffsführer Rauco ist unser Herrscher, der edle und mächtige Hexer Kukuar… nein! Nicht! Ihr saugt mein Blut…«
Er stand unter dem Einfluß von eingebildeten Dämonen. Die Schreckgestalten seiner eigenen Alpträume schickten sich an, ihn umzubringen. Er war im Begriff, an sich selbst zu sterben.
»Ein falscher Luminat, mit Salbe und Staub, den wir fanden… todesmutig und mit scharfen Waffen… gefeit gegen mannigfache Magie… viele Schiffe warten, um Yucazans Herrscher angreifen und entthronen zu können…«
Wieder stellte Kaizan eine Frage.
Sein Gefangener kreischte und tobte und riß sich die Haut von den Unterarmen und den Knöcheln. Dann stieß er ein Gurgeln aus und sackte in den Fesseln zusammen. Das Leben verließ ihn.
Nachdenklich schweigend betrachtete Kaizan den Leichnam.
»Ich bin sicher«, sagte er im Selbstgespräch, »daß ich noch mehr erfahren würde. Was ich aber weiß, reicht mir.«
Er stand auf, löschte die Flammen der Öllampen und verließ das Gelaß, ohne sich umzusehen. Sein Vorgehen stand jetzt schon deutlich vor ihm. Er mußte alles so leicht erscheinen
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