Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
sagte.
Sie sah Dennis an. »Erkältung?«
Er nickte.
»Hoffentlich musst du nicht in die Schule?«
»Nein.«
»Schon die ganze Woche nicht?«
»Ja.«
»Du weißt also nicht, ob Eddie …« Sie seufzte. »Du musst nicht mit uns sprechen, Dennis. Wenn du dich dadurch selbst belasten würdest, musst du nicht mit uns sprechen.«
»Was ist mit Eddie?«
»Wissen wir nicht. Er ist verschwunden.«
»Er wollte …«, sagte Dennis mit dünner Stimme. Sein Gesicht war rot angelaufen, und sie sah einen Anflug von Panik in den leeren Augen.
Thomas Ilic kehrte zurück. »Die Mutter. Für sie ist es okay, aber sie kann nicht kommen.«
Louise nickte. » Was wollte er, Dennis?«
»Falls du dich selbst belasten würdest …«, sagte Thomas Ilic.
Sie unterbrach ihn. »Weiß er.«
Dennis kam einen Schritt vor. »Ich hab ihm gesagt, dass wir es nicht tun dürfen, aber er wollte unbedingt. Und dann hat er sie mitgenommen.«
Louise spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. »Wen mitgenommen, Dennis?«
»Die Frau.«
Thomas Ilic zog das Foto von Nadine aus der Jackentasche. »Diese Frau?«
Dennis starrte auf das Foto. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
»Nimm es und sieh es dir genau an«, sagte Thomas Ilic. Dennis gehorchte und schaute sekundenlang auf das Bild. Dann zuckte er die Achseln.
»Du erkennst sie nicht?«, fragte Louise.
»Sie war … Ihr Gesicht war … Jemand hat sie geschlagen.«
»Geschlagen? Ins Gesicht?«
Er nickte. »Übel geschlagen, sodass man nicht richtig erkennen konnte, wie sie aussieht. Wenn Sie mich fragen …«
»Ja?«
Dennis schwieg.
»Könnte es die Frau auf dem Foto gewesen sein?«, fragte Louise drängend.
»Ich weiß nicht. Die Haarfarbe stimmt.« Dennis gab das Bild zurück.
»Also, jemand hat sie geschlagen, aber nicht Eddie. Aber Eddie hat sie mitgenommen. Richtig?«
»Ja.«
»Erzähl endlich«, sagte Louise scharf.
Und Dennis erzählte.
Die Scheune lag zwischen Grezhausen und dem Rhein auf einem offenbar ungenutzten Feld. Sie ließen den Wagen am Straßenrand stehen, folgten einem ausgetretenen Pfad, auf dem die Abdrücke von Schuhen, Hundepfoten und Fahrradreifen zu erkennen waren. Seit Sonntag hatte es nachts mehrfach geregnet, die Abdrücke konnten also nicht von Eddie, Dennis oder Nadine stammen. Trotzdem achteten sie darauf, dass sie am Rand des Pfades gingen, dicht hintereinander, dort, wo keine Abdrücke waren.
Als sie die Scheune erreichten, rief Rolf Bermann zurück. Ein Zug Bereitschaftspolizisten aus Lahr war unterwegs, ebenso die Hundestaffel aus Umkirch und ein Hubschrauber der Staffel aus Stuttgart. Frankreich war informiert, auf der anderen Seite des Rheinkanals würden französische Kollegen mit der Suche beginnen.
»Das ging ja schnell«, sagte Louise.
»Nicht wahr«, sagte Bermann. »Jetzt ist es … zwölf. Ich bin gegen fünf bei euch.«
»Du kommst her? Und das Finale?« Sie wechselte einen Blick mit Thomas Ilic.
Bermann sagte nichts. Im Hintergrund hörte sie Besteck und Gläser klirren. Jemand rief »Rolf!«, die Stimme klang nach Anselm Löbinger. Egal in welcher Hinsicht, gegen Löbinger schien Bermann in letzter Zeit immer den Kürzeren zu ziehen. Löbinger war Inspektionsleiter geworden, nicht Rolf Bermann, Löbinger sah sich das Finale in Frankfurt an, Rolf Bermann musste zurück nach Freiburg.
Mit welcher Laune, war nicht schwer zu erraten.
»Was sagen wir der Presse und den Eltern? Wie sicher sind wir, dass sie am Leben ist?«, grunzte Bermann.
»Wir wissen nur, dass sie am Sonntagnachmittag noch am Leben war.«
»Heute ist Mittwoch .«
»Das ist schon möglich.«
Schweigen.
»Graeve wird gegen zwei bei euch vorbeischauen.«
Sie nickte. Reinhard Graeve, der neue Leiter der Kripo, seit sechs Monaten im Amt, Nachfolger von Almenbroich und Bob, wieder einer, an dem sich die Platzhirsche und Machos um Rolf Bermann die Zähne ausbissen.
»Noch was?«, fragte Bermann.
»Vorerst nicht.«
»Wie hält Illi sich?«
»Was für eine blöde Frage.«
»Du nervst«, grunzte Bermann und unterbrach die Verbindung.
Rolf Bermann eben.
Sie steckte das Telefon ein und trat ein paar Schritte auf die Scheune zu, bemüht, etwaige Spuren nicht zu beschädigen. Auch die Spurensicherung war unterwegs.
Am Tor blieb sie stehen.
»Blöde Frage?« Thomas Ilic war ihr gefolgt.
»Er wollte wissen, ob es bei uns auch regnet.«
»Ah.«
Sie sahen in die Scheune. Stille lag über dem Raum, eine Atmosphäre von Frieden, Geheimnissen,
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