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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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langsamem Verfall. Nur die dunklen Flecken vor der gegenüberliegenden Wand passten nicht ins Bild. Dort hatte die Frau gelegen.
    Nadine?
    Thomas Ilic erriet ihre Gedanken. »Ist sie es?«
    »Wir müssen davon ausgehen.«
    Sie würden Proben von dem Blut in der Scheune und DNA-Material aus Nadines Wohnung zur Rechtsmedizin schicken. Dann würden sie es definitiv wissen.
    »Was bedeutet ›angeschaut und angefasst‹?«, fragte Thomas Ilic.
    Auch ihr ging diese Frage durch den Kopf, seit Dennis gesagt hatte, Eddie habe die Frau angeschaut und angefasst. Hatte er sie vergewaltigt? Drei Tage waren inzwischen vergangen, viel Zeit für einen wie Eddie, der in einem Milieu aus Gewalt, Armut, Alkohol aufgewachsen war und weder den Notarzt noch die Polizei angerufen hatte, als er vor einer misshandelten, wehrlosen, nackten Frau gestanden hatte. »Ich weiß es nicht.«
    »Und was ist mit Dennis?«
    »Ich glaube, er wäre gern wie Eddie, aber er traut sich nicht, so zu sein.«
    »Du meinst, er hätte sie auch gern ›angefasst‹, hat es aber nicht getan.«
    Sie nickte.
    Dennis hatte »die Frau« am Sonntagnachmittag auf dem Rückweg vom Rhein in der Scheune gefunden. Sie hatte auf dem Boden gelegen, in eine Decke gewickelt, hatte geblutet und zahlreiche Blutergüsse gehabt. Die Nase war gebrochen, hatte Dennis gesagt, und anderes vielleicht auch.
    Sie hatte nicht sprechen und sich nicht bewegen können.
    Louise mochte sich nicht ausmalen, was mit ihr geschehen war. Was ihr zwischen Sonntagmorgen und Sonntagnachmittag angetan worden war. Vom unbeschwerten Leben geradewegs in die Hölle.
    Nein, das stimmte wohl nicht. Vielleicht hatte Nadine längst in einer anderen Art von Hölle gelebt. Einer seelischen Hölle, die nur Antidepressiva zeitweilig erträglicher machten.
    Dennis hatte Eddie angerufen, der kurz darauf gekommen war und die Frau »angeschaut« und »angefasst« hatte. Dann waren die beiden zu Dennis gefahren, um zu essen und sich ein Fußballspiel anzusehen.
    Ein Satz bahnte sich einen Weg in ihre Gedanken. Ficken, Fressen, Fußball, das sind ihre Grundbedürfnisse. Ein Satz ihrer Mutter über die Männer. Ein Grundbedürfnis hatte sie vergessen: Gewalt. Aber ihre Mutter war keine Polizistin gewesen, kannte die Statistiken nicht.
    Gegen neun am Sonntagabend war Eddie wieder zu der Scheune gefahren. Was dann geschehen war, lag im Dunkeln. Hatte sich Nadines Martyrium fortgesetzt?
    Dennis war eine Stunde später nachgekommen. Das Tor der Scheune hatte offengestanden, Eddie war fort gewesen, die Frau auch. Jedenfalls hatte Dennis das angenommen, obwohl Eddies Fahrrad vor der Scheune gelegen hatte. Auf seine Rufe hatte niemand reagiert. In der Scheune nachzusehen hatte Dennis sich nicht getraut. Es war dunkel gewesen, und er hatte, als er vom Rad gestiegen war, geglaubt, eine unterdrückte Männerstimme und Rascheln wie von Schritten in trockenem Gras gehört zu haben. Er war sich nicht sicher gewesen, aber es hatte genügt, ihn davon abzuhalten, in die Scheune zu gehen.
    Am nächsten Morgen war er noch einmal gekommen. Eddies Fahrrad hatte nicht mehr dagelegen, die Scheune war leer gewesen. Ans Handy ging Eddie seit Sonntagabend nicht, also war er wohl, hatte Dennis gesagt, tatsächlich fort.
    Wo, Dennis? Wo könnte er sein?
    Wenn Sie mich fragen … Er ist manchmal nach Frankreich rübergeschwommen, vielleicht ist er mit ihr nach Frankreich. Paris und so.
    Louise schüttelte den Kopf. Paris und so. Was für Welten sich manche Menschen schufen.
    Die Männerstimme beschäftigte sie.
    Ja, vielleicht die Stimme von Eddies Vater, hatte Dennis gesagt. Falls er wirklich eine Stimme gehört habe.
    Sie setzten sich ein paar Meter von der Scheune entfernt ins Gras. Stille lag über ihnen, das Warten begann. Louise gähnte verhalten, Thomas Ilic betrachtete seine Finger. Entspannt wirkte er nicht. Der erste große Fall nach eineinhalb Jahren Krankheit. Nach Heuweiler.
    Ihr Blick glitt über die Scheune, das Feld, den Streifen Wald, hinter dem der Altrhein lag. Wo waren Eddie und Nadine? Sie mussten doch in der Nähe sein.
    Eine Studentin aus Freiburg, ein Junge aus Grezhausen, beide seit dem Wochenende verschwunden. Hier, in der Scheune, waren sie aufeinandergetroffen.
    Hatte Eddie Nadine fortgebracht? War Nadine weggelaufen?
    Paris und so.
    Zorn ergriff sie. Wie man sich die Welt schönreden konnte. Wie man sich schönreden konnte, was man getan oder nicht getan hatte. Dennis würde sich wegen unterlassener Hilfeleistung

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