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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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dem blauen Auto mit dem Ersatzrad auf der Hecktür.
    »Was ich mich die ganze Zeit frage …«, sagte Thomas Ilic.
    Wohin ging man, wenn einem geschehen war, was Nadine geschehen war?
    Heim, dachte Louise.
    »Heim, oder?«, sagte Thomas Ilic.
    »Aber mit diesen Verletzungen?«
    »Heim heißt Familie. Sie muss doch nur telefonieren. Also. Warum telefoniert sie nicht? Weil sie nicht mehr am Leben ist? Weil sie sich irgendwo versteckt und Angst hat, das Versteck zu verlassen, weil vielleicht nicht nur wir nach ihr suchen?«
    »Hab auch schon daran gedacht.«
    »Ja«, sagte Thomas Ilic. »Liegt nahe.«
    »Hast du was getrunken? Du hältst ja ganze Vorträge.«
    »Ach, na ja. Ein Bier.«
    »Schon in Ordnung, Illi.«
    »Ich hab ja jetzt Zeit. Ich mach das Kagan, Meirichs Leute machen den Rest. Dieser Schreihals Bruckner ist so schnell, dass ich nicht mehr mitkomme. Der ist ja überall.«
    »Wenn es hilft.«
    Thomas Ilic seufzte. »Tut es.«
    Geschirr klapperte, eine Frau sagte »Guten Appetit«. Thomas Ilic räusperte sich verlegen.
    Louise lächelte. »Vergiss nicht zu bezahlen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Thomas Ilic mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. »Manchmal denke ich, ich hab schon bezahlt.«

    Die moosbewachsene, mannshohe Mauer, die das Anwesen der Ettingers umgab, schien aus Zeiten zu stammen, als noch Zisterzienserinnen im Ort gelebt hatten. Der Stacheldraht dagegen, der darauf befestigt war, stammte offenbar aus der jüngeren Vergangenheit. Kastanien- und Ahornbäume überragten die Mauer, warfen lange Schattenrisse auf den Asphalt, Schilder warnten vor bissigen Hunden. Ins verrostende Gestänge des Tores war das Wappen des Günterstaler Klosters geschmiedet, auf einem verwitternden Holzschild stand, kaum noch lesbar, »Ettinger«. Im Schatten unter den Bäumen lag versteckt ein kleines, abweisendes Haus, daneben stand ein roter Kombi. War der ganze Ort mittlerweile in Aufruhr, hier herrschte Ruhe.
    Sie klingelte.
    Ein Hund bellte, zwei weitere stimmten ein, und mit der Ruhe war es vorbei. Sie hörte Ketten rasseln, aber das Gebell blieb in konstanter Entfernung. Dann erklang ein scharfer, hoher Ruf, die Hunde verstummten.
    Schritte knirschten auf Kies, aus dem Schatten vor dem Haus löste sich eine Gestalt. Eine kleine alte Frau kam auf sie zu.
    »Wir wollen nicht belästigt werden«, sagte sie kühl und blieb vier, fünf Meter vom Tor entfernt stehen. Die Stimme klang kultiviert, die Frau war elegant gekleidet, ganz in Altweiß, Brosche, Ohrringe, Armband rubinrot.
    »Wer will das schon«, entgegnete Louise, hob ihren Ausweis. »Louise Bonì, Kripo Freiburg.«
    Die Frau sagte nichts. Sie hatte die langen weißen Haare zu einem Zopf gebunden, wirkte ausgemergelt, die Wangenknochen waren überdeutlich zu sehen.
    »Sie wissen, was geschehen ist?«
    »Natürlich.«
    »Es scheint Sie nicht zu kümmern.«
    Die Frau zuckte die Achseln. »Menschen sterben, nicht?« Ihre Miene blieb ausdruckslos, die Lippen bewegten sich beim Sprechen kaum.
    »Ja«, sagte Louise. »Diesmal ein Junge von fünfzehn Jahren, und er ist nicht einfach gestorben, er wurde ermordet.«
    »Ein Junge, der Hunde und Katzen umgebracht hat, der gestohlen hat, der andere Kinder verprügelt hat. Ich kannte Eddie Holzner.«
    Louise schwieg. Sie dachte, dass sie die Mauern, die diese Frau um sich errichtet hatte, so nicht überwinden würde, nicht aus fünf Metern Entfernung, nicht mit einem Eisentor zwischen ihnen. Sie legte eine Hand an einen der beiden Torflügel, drückte leicht dagegen. Nichts rührte sich.
    »Und das Mädchen?«
    Wieder das Achselzucken. »Die Welt ist schlecht.«
    »Nicht die Welt. Manche Menschen.«
    Die Frau lächelte kühl.
    Einer der Hunde bellte erneut. Wieder erklang der hohe Ruf, das Bellen brach ab.
    »Ihre Schwester?«
    »Ja.«
    »Sind Sie Josepha oder Maria?«
    »Josepha.«
    Louise nickte. Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam sie. Hilflosigkeit und Verärgerung.
    Ausgesperrt.
    Ruhig bleiben, dachte sie.
    Sie sah nach oben. Die Gestängestäbe mündeten in Spitzen, auf der Mauer war Stacheldraht.
    »Sie würden sich verletzen«, sagte Josepha Ettinger.
    Louise lächelte düster. »Wann waren Sie zum letzten Mal drüben? Bei der Scheune?«
    »Gestern.«
    »Waren Sie am Wochenende dort?«
    »Ja.«
    »Wann genau? Das ist wichtig.«
    »Für Sie, nicht für mich.«
    »Samstag oder Sonntag, Frau Ettinger?«
    Josepha Ettinger schien zu überlegen. »Samstag.«
    »Sicher?«
    »Wir kamen vom Rhein und haben

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