Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Acker der Ettingers mit der Scheune. Sonntagmittag oder früher Nachmittag, ein nacktes Mädchen, das in eine rote Decke gehüllt war und sich höchstwahrscheinlich kaum hatte aufrecht halten können. Niemand hatte das Mädchen gesehen. Vielleicht hatte es die hohen Maisfelder genutzt, um sich zu verstecken. Vielleicht weil drei Männer hinter ihm hergewesen waren.
»War schon jemand dort?«
»Nein. Ich treib den Hausmeister auf, wenn du willst.«
»Und schick mir Illi und besorg mir eine Durchsuchungsanordnung von Andrele.«
»Wird erledigt. Meldest du dich noch mal? Ich hab noch mehr.«
Sie fuhr in Freiburg-St. Georgen ab, kreuzte die Bundesstraße, fuhr wieder auf den Autobahnzubringer Süd.
Ein paar Minuten Aufschub für den Kollegen.
»Rolf war hier«, sagte Alfons Hoffmann kurz darauf. »Mein Gott, du hast sie gefunden.«
»Ja.«
»Offiziell?«
»Offiziell. Wir haben sie gefunden, sie lebt, sie hat die Täter beschrieben, jetzt ist sie mit ihrem Vater zu einem unbekannten Ort unterwegs. Wir müssen sie aus der Schusslinie nehmen, Alfons. Graeve und der Staatsanwalt sollen eine Pressekonferenz abhalten, und zwar …«
»Sie sollen?«
»Richtig.«
Sie hörte Alfons Hoffmann aufgeregt kichern. »Gut, sie sollen.«
»Und zwar so schnell wie möglich.«
»Dann wird es eng für den … den Kollegen.«
»Ja.«
»Du weißt nicht zufällig inzwischen, wer es ist?«
»Es gibt ein paar, die in Frage kommen.«
Alfons Hoffmann schwieg. Sie wusste, was er dachte: Rauswinden passte nicht zu ihr.
»Hat Nadine ihn beschrieben?«
»Hat sie. Gibt’s bei dir noch was Neues?«
Alfons Hoffmann grummelte beleidigt. Es klang wie »Ja«.
Die Computerleute hatten Haberles Laptop geknackt. Nichts Verwerfliches darauf, pornographische Filme etwa oder Ähnliches, nur Steuerunterlagen, Adressen, Termine, Urlaubsfotos, Betriebskostenübersichten, Ausgabenlisten und so weiter. Und Hunderte Fotos seiner Tochter. Kein einziges, das sie als Baby oder Kleinkind zeigte. Auf allen war sie mindestens acht oder neun. »Als wär er in sie verliebt gewesen oder so was«, sagte Alfons Hoffmann.
Louise nickte. Sie hatte mit Kinderpornos gerechnet, aber vielleicht hätte das nicht zu Haberle gepasst. Ein manischer Kontrolleur, der auch seinen krankhaften Drang kontrolliert hatte, indem er ihn auf ein einziges Objekt gelenkt hatte.
Dann, bei Nadine, hatte er die Kontrolle aufgegeben. Hatte sich gehenlassen. Weil andere, Gleichgesinnte, dabei gewesen waren?
»Weiter«, sagte Alfons Hoffmann, noch immer grummelnd. »Markus, Bert, Micha.« In Haberles Adressdatei gab es mehrere Männer mit diesen Vornamen. Wenn die Nachnamen korrekt waren, war keiner von ihnen bei der Kripo.
»Vergiss sie«, sagte Louise.
»Kein Markus, Bert, Micha?«
»Halte ich für unwahrscheinlich.«
»Für unwahrscheinlich, Louise?«
»Ja. War Illi in Haberles Praxis?«
Ein enttäuschtes Grummeln, war er. Und er hatte dort einen Kalender gefunden. Bei Samstag stand: »Micha«. Sie hatten die Michas aus der Adressdatei durchtelefoniert. Ein Michael Engele hatte am Samstagabend seinen Junggesellenabschied gefeiert, und er sagte, Haberle sei dort gewesen, Haberle und etwa fünfundzwanzig andere Freunde, ausschließlich Männer natürlich. »Sandy und Andi Bruckner sind gerade bei ihm. Ich meine, bei Michael Engele.«
»Der Skatabend.«
»Ja.«
»Wir brauchen eine Liste aller Gäste. Dann haben wir sie. Beide.«
Bad Krozingen, sie verließ die Autobahn, Hausen an der Möhlin, diesmal fuhr sie nicht nach links in Richtung Grezhausen, sondern nach rechts in Richtung Oberrimsingen. Und wieder der Blick auf den Tuniberg, den Kaiserstuhl, weit im Westen die Vogesen. Sie fragte sich, was der Mann, dem es in Colmar beinahe gelungen war, Nadine zu töten, in diesem Moment sah. Wo er war. Was er vorhatte.
Die Franzosen hatten nicht angerufen. Also hatten sie ihn nicht gefasst.
Er hatte Eddie getötet, weil der möglicherweise zu viel gesehen oder gewusst hatte. Er hatte Dietmar Haberle getötet, weil der offenbar zur Gefahr geworden war. Er hatte versucht, Nadine zu töten, um sie am Sprechen zu hindern. Hatte er jetzt vor, den Polizisten zu töten, bevor der gefasst wurde? Oder Michael Engele, der ihn vermutlich eingeladen hatte?
»Louise?«
»Entschuldige.«
Alfons Hoffmann räusperte sich. »Wer ist es?«
Sie seufzte. Und wenn sie es ihm sagte, und irgendwann später ging die Tür auf, und der Kollege stand da? Wie, Alfons, würdest du reagieren?
»O
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