Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Vielleicht hatten sich die Schuldgefühle auf diese Weise kontrollieren lassen. Vielleicht war die Ordnung in dieser Wohnung auch eine Art Idealzustand gewesen, in dem er sich zu Hause gefühlt hatte. Alles, wie er es wollte, alles im Griff, alles unter Kontrolle. Kein Mensch, der etwas in Unordnung brachte. Das Gegenstück zum Leben draußen. Die Fassade, die alles zusammengehalten hatte, das Innen und das Außen.
Und dann, ganz plötzlich, lag ein weiterer Geruch in der Luft, und mit ihm kehrte die Angst zurück.
»Riechen Sie das auch?«
»Was?«
»Pascha« von Cartier.
25
Also war er hier gewesen, irgendwann vor wenigen Stunden, nachdem er Haberle getötet hatte und bevor er in das Haus der Ettingers in Grezhausen eingebrochen war. Sie schickte Derfflinger zurück in sein Geschäft, zog Wegwerfhandschuhe an, ging erneut durch die Wohnung. Er musste Spuren hinterlassen haben in dieser perfekten Ordnung.
Und sie fand sie.
Ein Küchenstuhl leicht verschoben, Grashalme und ein paar Erdkrümel auf dem Boden des Flurs. Die Toilettenbrille hochgeklappt, ein paar Wassertropfen im Waschbecken. An einem Fenster im Wohnzimmer sah sie gegen das Sonnenlicht einen blassen Fleck, der von einer schweißfeuchten Hand stammen konnte.
Sie wollte sich eben auf die Suche nach dem Kellerschlüssel machen, als sie Schritte im Treppenhaus hörte. Vor der Wohnungstür hielten sie inne.
Sie riss die Pistole aus der Handtasche, lief in den Flur.
Jemand klingelte.
Die Stimme eines Mannes, laut und klar: »Kripo Freiburg, öffnen Sie die Tür!«
Sie wartete, die Waffe mit beiden Händen haltend.
Schlüssel klirrten, dann wurde die Tür langsam aufgedrückt. Walter Scuma vom Fahndungsdezernat stand vor ihr, eine Pistole in der Hand.
»Himmel, Bonì!«, sagte er erschrocken.
Sie steckten die Waffen weg.
»Hier bist du also«, sagte Scuma. »In der Direktion fragt man sich schon, wo du abgeblieben bist.« Nervös fuhr er sich mit einer Hand über den halbkahlen Kopf, rückte die randlose Brille zurecht. In seinem Schnauzer hatten sich Schweißperlen gesammelt. »Mensch, das hätte schiefgehen können.«
»Komm erst mal rein.«
Scuma schob die Tür zu. »Puh.« Die Hand strich wieder über den Kopf. »Langsam verstehe ich die Kollegen.«
»Was sagen die?«
»Wer mit dir arbeitet, braucht Nerven und ein gesundes Herz.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Nur die Langsamen.«
»Ich dachte, ich wäre schnell.« Sein Blick fiel auf die Fotos von Emily. Er sah Louise an, sagte nichts.
Jetzt keinen Fehler machen, Bonì, dachte sie. Nicht auf einen fixieren, und am Ende ist es ein anderer.
»Woher hast du den Schlüssel?«, fragte er. »Falls du nicht wieder ein Fenster eingeschlagen hast. Mein Gott, ist das hier sauber .«
Sie berichtete von Alfons Hoffmanns Anruf, von Derfflinger, dem ausgetauschten Schloss.
»Schlechte Koordination.« Scuma wischte sich mit zwei Fingern den Schweiß vom Schnauzer. »Denke ich mir schon den ganzen Nachmittag. Dein Bermann redet mit niemandem, dein Alfons Hoffmann kommt nicht mehr aus seinem Zimmer, dein Thomas Ilic guckt in die Welt, als hätte er Darmkrebs. Habt ihr euch nicht mehr lieb im D 11?«
Ihre Augen lagen noch auf Scumas Schnauzer. Ein Großvater mit Vollbart. Hatte Scuma je einen Vollbart getragen? Sie rief sich frühere Begegnungen in Erinnerung, bei einer Weihnachtsfeier, in der Cafeteria, im Fahrstuhl. Sie wusste es nicht mehr.
Sie zuckte die Achseln. »Wir vertragen die Hitze nicht.«
Scuma starrte sie schweigend an.
»Schlechter Scherz, entschuldige. Weißt ja, was die Kollegen sagen.«
»Was sagen die Kollegen?«
»Wer mit mir arbeitet, braucht ein dickes Fell.«
Scuma lächelte. Das ausdruckslose graue Gesicht bekam ein paar Falten und wirkte mit einem Mal beinahe freundlich. Großväterlich mit ein bisschen Phantasie. Aber Scumas Stimme knarzte.
Doch was schön war, dachte sie, war subjektiv.
Scuma ging ins Bad, ins Schlafzimmer, kam zurück. Auch er trug mittlerweile Handschuhe. Wenn er sie ansah, lag in seinem Blick wieder Distanz, als machte er sie für das verantwortlich, was er hier zu sehen bekam. »Sein Rückzugsort«, sagte er. »Sein Platz zum Träumen.«
Sie nickte. »Wie kommst du eigentlich an den Schlüssel?«
»Mensch, der Schlüssel.« Er ging in den Flur, öffnete die Tür. Er hatte den Schlüssel stecken gelassen. »Der Schreck«, sagte er, als er zurück war.
Er war mit Hans Meirich vom D 23 in Haberles Wohnung gewesen. Da hatten sie den
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