Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
wusste es nicht. Noch nicht. Vielleicht, wenn sie mit Nadine gesprochen hatte.
Ein zärtlicher Großvater mit Vollbart.
Markus, Bert, Micha, hatte Bermann gemurmelt, sein zorniges Mantra. Noch nie hatte sie ihn so betroffen erlebt, so verbissen. Bertold Uhl aus der Kriminaltechnik, hatte der nicht einen Bart? Michael Ahlert aus Meirichs Dezernat, wirkte der nicht großväterlich? Wann kam endlich die Vornamensliste von Alfons Hoffmann?
Verflucht, wer ist es, Louise?
Er wird verschwinden, hatte sie gesagt. Er weiß jetzt, dass wir ihn kriegen. Der, der verschwindet, ist es.
Keiner ist verschwunden, hatte Bermann gesagt.
Wird nicht mehr lange dauern. Wenn er erfährt, dass wir Nadine gefunden haben, verschwindet er.
Und wie kam Nadine drauf, dass er Polizist ist?
Louise hatte ihm von der Kripomarke erzählt. Wieder ein kurzer Moment der Hoffnung, diesmal bei Rolf Bermann. Alle Kripomarken im Bundesgebiet sahen auf der Vorderseite identisch aus, nur die Rückseiten – mit Landesnamen und Individualnummer – unterschieden sich. Er hätte genauso gut bei der Kripo Stuttgart oder Köln oder Berlin sein können. Ein Vergewaltiger im Urlaub.
Aber es hätte nicht gepasst. Er wusste zu viel.
Markus, Bert, Micha, Scheiße , hatte Bermann gemurmelt.
Sie nahm Ben Liebermanns linke Hand, strich sanft darüber. Sie wusste nicht, ob es richtig war oder falsch, dass sie ihn einbezog. Claus Rohmueller hatte darum gebeten, sie hatte zugestimmt, Ben Liebermann ohnehin. Für gefährlich hielt sie es nicht. Beide Täter, der Polizist und der Mann in Colmar, hatten jetzt anderes zu tun, als erneut nach Nadine zu suchen. Ganz abgesehen davon, dass es keinen Sinn mehr hätte, sie zum Schweigen zu bringen.
Und doch, sie mussten mit allem rechnen.
»Sprich mit niemandem darüber.«
»Über Gérardmer«, sagte Ben Liebermann.
»Ja.«
»Auch nicht mit den Franzosen?«
»Die können es wissen. Ich glaube nicht, dass unser Mann so gute Kontakte nach Frankreich hat, dass er einfach anrufen kann.«
»Es ist ja auch längst zu spät. Warum sollten die sich noch für Nadine interessieren?«
Sie nickte, zog einen der Teller mit einem halben Stück Apfelkuchen zu sich, Apfelkuchen mit Flanmasse, begann zu essen, freute sich über Ben Liebermanns Schmunzeln. Wenn du eine mit Etikette willst, Benno, dachte sie kauend, bist du definitiv an die Falsche geraten, ich bin ein Proloweib.
Auch Hugo Chervel hatte sie angerufen. Er war informiert und bereits unterwegs. Ja, sie bekam ein paar Leute, die nach Gérardmer mitfahren würden. Ja, die Fahndung lief. Ja, an den Grenzen wurde bereits kontrolliert.
Er hatte schroff und einsilbig geklungen.
Mon Dieu , immer dasselbe mit dir. Bringst uns Mörder herüber. Ein bitteres Lachen. Nur ein Scherz, Louise, verzeih. Ich hab getrunken. Ich hab Geburtstag. Ich werde fünfzig. Und jetzt hab ich einen Mörder am Arsch.
»Komm mit nach Gérardmer, Louise«, sagte Ben Liebermann.
»Nein.« Sie musterte ihn, die hellen Fältchen in der dunkleren Haut um die Augen, die müde und besorgt wirkten, das Sorgenmachen musste sie ihm noch abgewöhnen. Aber er wirkte ruhig und konzentriert in diesen Minuten, ganz bei sich. So hatte sie ihn kennengelernt, ruhig und konzentriert und bei sich, in Kroatien und Bosnien hatte sie ihn so erlebt und seitdem nicht mehr.
»Komm mit«, wiederholte er.
Sie fuhr ihm mit der Hand über die kurzen Haare. »Wir sehen uns um Mitternacht.«
Er zuckte die Achseln. »Denk an die ´Cevapc?ic´i.«
»Ich hab’s nicht vergessen.«
Ben Liebermann lächelte und legte die Stirn in ihre Halsbeuge, und so warteten sie, bis Schritte im Flur erklangen und Josepha Ettinger kam, um sie zu Nadine zu bringen.
Ein Auge zugeschwollen, das andere halb geöffnet. Braune und grüne Salben bedeckten aufgeplatzte Stellen an Wangen und Stirn, eine Art Stützverband die gebrochene Nase. Am Hals bläuliche Würgemale, dann begann die Decke. Gekrümmt saß Nadine auf dem Bett, an die Wand gelehnt, Kissen in Rücken und Nacken, den Collie links, Josepha Ettinger rechts neben sich. Verstört blickte sie zwischen Louise und ihrem Vater hin und her, der am Fenster auf einem Stuhl Platz genommen hatte. Steif saß er da und kämpfte gegen die Tränen, ein Fremdkörper im Raum, wie Louise, die auf einem Stuhl in der Mitte des Zimmers hockte und sich vorkam wie auf einer Anklagebank.
Das Schweigen zog sich hin.
»Die werden Sie jetzt in Ruhe lassen«, sagte sie schließlich sanft.
Nadine und Josepha
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