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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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leer ist, sonst ist der Mensch, der bei mir sitzt, beleidigt.«
    »Was für ein Mensch?«
    »Wenn es ein Mensch ist. Er sieht aus wie ein kleiner, verwachsener Ölbaum mit sehr vielen Haaren. Ein misstrauischer Ölbaum, er hat mich keine Sekunde aus den Augen gelassen.«
    »Onkel Pierre. Er prüft, ob du gut genug für die Familie bist.«
    »Oh«, machte Ben Liebermann. »Was heißt ›Prost‹?«
    »À votre santé.«
    »À votre santé« , sagte Ben Liebermann laut. »Jetzt lacht der Ölbaum. Prüfung bestanden.« Sie hörte Gläser klirren.
    »Onkel Pierre ist der Absinthexperte der Familie.«
    »Allein das Zubereiten hat fünf Minuten gedauert. Mit Löffel, Zucker und so weiter.«
    »Er nimmt das sehr ernst.«
    »Und trinkt sehr schnell.«
    Sie schwieg einen Moment lang. Es tat gut zu spüren, dass Ben Liebermann sich wohl fühlte, noch dazu in Gérardmer, bei ihrer Familie. Eine Weile würde er nicht über die Vergangenheit, St. Georgen, die Zukunft nachdenken. Über Perspektiven und all das. Doch die Sorge würde bleiben, solange der Mann aus Colmar nicht gefasst war.
    »Kannst du MMS empfangen?«
    »Ja.«
    »Ich schick dir spätestens in zwanzig Minuten ein Foto. Bleib auf jeden Fall so lange in Gérardmer.«
    »Der Polizist?«
    »Ja. Wenn Nadine ihn identifiziert, haben wir den Beweis.«
    »Gut. Wie sieht es bei euch aus?«
    Sie erzählte von Oberrimsingen, von dem Junggesellenabend, wie immer nicht alles, um ihn nicht zu beunruhigen. Wie immer fühlte sie, dass er beunruhigt war. Aber er sagte nichts.
    »Wir sehen uns um Mitternacht. Bei Leitungswasser und ´Cevapc?ic´i.«
    »Ich freu mich drauf«, sagte er.
    »Ich auch.«
    »À votre santé« , sagte Ben Liebermann laut.
    Gläser klirrten.
    Ja, ein Mann, den sie womöglich eines fernen, fernen Tages lieben könnte.

    Vor dem Eingang der Polizeidirektion stand ein anderer Mann, einer, den sie nie verstehen und nie mögen, höchstens bedauern würde. Er trug Jeans, ein hellblaues T-Shirt, einen schwarzen Cowboyhut, hielt eine Reisetasche in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen. Er blickte nach links, nach rechts, dann ging er langsam los, als hätte er jetzt alle Zeit der Welt.
    Er bemerkte sie nicht, als sie an ihm vorbeifuhr.
    Sie parkte im Carport, ging, einem Impuls folgend, durch das Gebäude zum Eingang und ins Freie. Noch ein paar Minuten Aufschub für den Kollegen, dachte sie, aber das stimmte nicht ganz. Sie spürte, dass sie den Moment, in dem sie ihm gegenübertreten würde, hinauszögern wollte.
    Holzner war umgedreht, kam den Gehweg zurück, wollte nun offenbar in die andere Richtung. Als er sie bemerkte, blieb er stehen. »Die Bullenschlampe, die auf Fußball steht.«
    »Soll ich Sie heimbringen lassen?«
    »War das nicht ein Spiel? Gewinnen wir gegen die Scheißmexikanerzwerge.« Sein unrasiertes Gesicht verzog sich zu einem leeren Grinsen. Er schnippte die Zigarette von sich. »Hätte ich ja nicht gedacht. Der Junge schon.«
    »Kommen Sie, Herr Holzner.«
    Er lachte. »Herr Holzner.«
    Sie nahm seinen Arm, ging mit ihm in Richtung Carport. Steif tapste er neben ihr her, die Schlafstatt in der Großraumzelle war hart.
    »Was hat er denn jetzt am Fluss gemacht?«
    »Er war kurz vorher in der Scheune. Ich nehme an, dass er zum Fluss wollte, um sich in Sicherheit zu bringen.«
    »So, nehmen Sie an. In Sicherheit vor wem?«
    »Vor dem Mann, der ihn getötet hat.«
    Holzner nickte. »Hat wieder was angestellt, was? Ja, so war er, musste immer was anstellen. Wie sein Vater.« Er lachte leise, doch das Lachen klang jetzt gekünstelt. »So sind sie, die Holzners. Der eine hat Glück und kommt durch, der andere hat Pech und kommt nicht durch. So ist das Leben, wenn man ein Holzner ist.«
    Sie sagte nichts, und auch Holzner sprach nicht weiter. Er fragte nicht nach dem Täter, nicht, wie sein Sohn ermordet worden war oder weshalb, nicht, ob sie den Täter gefasst hatten. So war das Leben für die Holzners, es war eben geschehen, die Einzelheiten schienen nicht relevant zu sein.
    Im Carport der Polizeidirektion bat sie einen Kollegen vom Revier Freiburg-Süd, eine Streife zu organisieren, die Holzner nach Grezhausen bringen würde. Holzner rauchte wieder, während sie warteten, schnippte die halbgerauchte Zigarette weg, zündete sich eine neue an.
    Ein Streifenwagen hielt vor ihnen.
    »Ein Bullentaxi«, sagte Holzner.
    Sie öffnete ihm die Fondtür.
    Holzner nahm den unsäglichen Hut ab, machte aber keine Anstalten einzusteigen. Reglos stand er

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