Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
merkwürdiger Anblick. Plötzlich, für eine kurze Sekunde, verzog sich sein Gesicht zu einer hässlichen Maske.
Sie musterte ihn. Kein Großvater, keine schöne Stimme. Auch wenn das wenig war, um Entscheidungen zu treffen – was nicht passte, passte nicht.
Zeit, die Truppen hinter sich zu versammeln, dachte sie. »Wir haben sie gefunden.«
»Nadine?«
Sie nickte, erzählte von Colmar. Sie hatten sie gefunden, sie war in Sicherheit, auf dem Weg zu einem unbekannten Ort.
» Wer hat sie gefunden?«
Sie zuckte die Achseln. »Wir.«
»Wir. Ihr.« Scuma schüttelte den Kopf. In seiner Stimme lag Verärgerung. »Was läuft hier eigentlich, Bonì?«
»Wie meinst du das?«
»Ein Team innerhalb des Teams?«
»Einer von ihnen ist Polizist, Scuma. Ein Kollege. Nadine hat eine Kripomarke gesehen.«
Scuma sagte lange nichts, sah sie nur an mit diesem klaren, distanzierten Blick, der ihr für alles, was geschah und geschehen würde, die Schuld zu geben schien. »Hat sie die Nummer gesehen?«
»Nein.«
»Aber du hast einen Verdacht?«
»Ja.«
»Wer?«
Sie schüttelte den Kopf. »Zu früh.«
»Hast du Indizien? Beweise?«
»Nur eine Vermutung.«
»Vorsicht, Bonì, das ist kein Spaß.« Scuma fuhr sich mit einer Hand über den Kopf. »Stand ich auch auf deiner Liste?«
»Am Anfang ja.«
Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Du hast mir so was zugetraut?«
»Ich kenne dich nicht.«
»Du hast eine erbärmliche Menschenkenntnis.«
»Mag sein.«
»Und aus welchem Grund scheide ich jetzt aus?«
»Kein Vollbart, kein Großvatertyp. Und deine Stimme passt nicht. Nadine sagt, er hat eine schöne, weiche, tiefe Stimme. Deine Stimme ist … na ja.« Sie lächelte entschuldigend.
Scuma starrte sie an. »Vollbart, Großvater, weiche Stimme?«
Sie wartete. Sie ahnte, dass er zu demselben Ergebnis gekommen war wie sie.
Langsam schüttelte er den Kopf. »Vor zwei Jahren Lederle, dann Almenbroich, jetzt …«
»Wie bitte?«
In Scumas Miene kam Leben. Mundwinkel und Augenwinkel zogen sich nach unten, signalisierten Abscheu. »Du räumst auf, was? Bringst …«
»Red keinen Quatsch, Scuma.«
»Bringst langjährige Kollegen in Schwierigkeiten, weil sie es mit althergebrachten, legalen Mitteln weiter geschafft haben als du mit deinem hysterischen Gehabe.«
»Spinnst du?«
»Worauf bist du aus? Irgendwann eine Dezernatsleitung und vielleicht noch A 13? Oder liegt es nur daran, dass du Männer hasst?«
»Du bist ein Arschloch.«
»Ja«, sagte Scuma. »Und dir hat der Alkohol das Hirn zerfressen.«
Sie starrten sich an.
»Zwei Dinge will ich von dir«, sagte Louise schließlich.
Scuma hob abwehrend eine Hand, während er aufstand. »Lass mich da raus.«
»Erstens, du rufst ihn nicht an.«
Er stieß ein verächtliches Lachen aus. »Du gibst mir Anweisungen?«
»Richtig.«
»Wird Zeit, dass dir mal einer sagt, wo du stehst, Bonì.«
»Zweitens, und das ist eine Bitte: Bleib ein paar Stunden hier, in Haberles Wohnung. Ich glaube zwar nicht, dass der dritte Mann herkommt, aber möglich ist alles.«
Scuma setzte sich wieder. »Nicht alles, Bonì.«
»Nein? Du müsstest es besser wissen.«
»Einer von uns tut so was nicht.«
» Du tust so was nicht.«
Scuma sagte nichts.
Sie erhob sich. Ein letztes Wort an Scuma, den Idealisten oder Verdränger. Sie dachte, dass es ihm lieber war, wenn eine wie sie es ihm sagte. Eine, die er nicht respektierte. »Polizisten lügen, betrügen, manipulieren, schlagen, saufen, begehen Ehebruch, vergewaltigen, missbrauchen Kinder, stehlen, unterschlagen, töten. Nicht du, Scuma, aber andere. Kollegen. Polizisten sind nicht anders als alle anderen auch. Muss ich dir das wirklich sagen?«
Er musterte sie schweigend. Der Abscheu war verflogen, mit einem Mal wirkte er müde und erschöpft. »Bonì, selbst wenn er …« Er nahm die Brille ab, legte sie auf den Tisch. Sie fragte sich, was er ohne Brille sah. Ob er überhaupt etwas sah. »Es gibt andere Möglichkeiten, als ihn vor Gericht zu bringen. Als uns vor Gericht zu bringen. Uns, die Kripo, Louise, für die du seit Jahren arbeitest. Die alles ist, was du hast, die dich damals nicht hängengelassen hat. Sie hat dich wieder aufgenommen, als du Mist gebaut hast, und nicht nur einmal. Und so bedankst du dich?«
Sie schnaubte durch die Nase. »Was für Möglichkeiten meinst du? Frühpensionierung?«
»Zum Beispiel. Oder Versetzung. Von mir aus auch Rausschmiss. Aber kein öffentliches Verfahren. Du zerstörst das Vertrauen der
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