Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
flüsterte Meirich.
Aber Frank hatte noch mehr gesagt.
Deine hübsche Kollegin war auch da, in Colmar, die geht mir aber auf die Nerven, Hans, wie heißt die noch mal, wo wohnt die noch mal?
»Was?«, fragte Löbinger scharf.
Louise wartete angespannt, doch Meirich schwieg. Urplötzlich war die Angst wieder da, die sie in Grezhausen zum ersten Mal so deutlich gespürt hatte, auf dem Anwesen der Ettingers und dann im Haus beim Anblick der Dunkelheit im Flur und der Treppe in den ersten Stock. In Colmar, während sie in dem rosafarbenen Haus nach oben gelaufen war, und dann am späten Nachmittag in Oberrimsingen, in der Wohnung Dietmar Haberles. Die Angst, die kam, wenn sie dem Täter nahe war. An einem Ort eintraf, an dem auch er kurz zuvor gewesen war.
Meirich hatte die Augen gesenkt und sprach noch immer nicht.
»Du hast es ihm gesagt?«, fragte sie fassungslos.
»Du mieses Arschloch«, sagte Löbinger.
»Du hast ihm gesagt, wo ich wohne?«, schrie sie. Sie trat einen Schritt vor, schlug zu, so fest sie konnte, mit der flachen Hand, dann wieder, immer wieder, abwechselnd mit der rechten und der linken Hand, in Meirichs Gesicht, der sich nicht wehrte, die Augen geschlossen hatte, der Kopf gab nach, flog nach links, nach rechts. Sie spürte seinen von Tränen und Blut feuchten Bart an ihren Handflächen, und das machte es noch schlimmer, durch diese fast intime Berührung wurde auf irgendeine merkwürdige Weise alles noch viel schlimmer, und sie schlug fester zu und immer fester. In all den Stunden und Tagen hatte sie noch halbwegs distanziert bleiben können, jetzt nicht mehr, die plötzliche Nähe zerstörte die Distanz, Meirichs Bart, Tränen, Blut an ihren Händen zerrten sie in den Schmutz, in den Abgrund, und sie schlug weiter auf Meirich ein und wusste doch, dass sie mit jedem Schlag tiefer in den Abgrund glitt.
Irgendwann, als die Kraft nachließ, hielt sie keuchend inne.
Meirich gab keinen Laut von sich. Sein Kopf hing zur Seite. Die Wangen waren feuerrot, die Augenbrauen aufgeplatzt, die Schläfe verfärbte sich dunkel, aus der Nase lief Blut, auch die Nase musste sie getroffen haben.
»Jetzt haben wir drei ein Geheimnis«, sagte Löbinger. »Nicht wahr, Hans?«
Meirich nickte kaum merklich.
Sie sah Löbinger an, der sich nicht bewegt hatte.
»Wasch dir die Hände«, sagte er ruhig.
Im Bad keine Seife, auf dem Wannenrand fand sie ein Billigduschgel. Ungläubig starrte sie auf das hellrot gefärbte Wasser, das im Abfluss verschwand. Im Spiegel ein vor Ekel und Abscheu verzerrtes Gesicht, glänzend von Schweiß, die Haare hatten sich aus dem Band gelöst. Sie wusch sich auch das Gesicht.
Während sie sich mit Klopapier abtrocknete, kehrte das Gefühl zurück, Meirichs kratzender, feuchter Bart an ihren Handflächen.
29
Löbinger hatte die Handschliessen gelöst und ging mit Meirich ins Bad, als sie zurückkam. Sie zog das Rollo hoch, öffnete das kleine Fenster. Über den Gleisen Dämmerung, in der Ferne ein heller Streifen Licht am Kaiserstuhl. Der Regen war stärker geworden. Sie versuchte nicht, sich einzureden, dass sie es für Nadine getan hatte oder aus Enttäuschung, weil Meirich einer der Ihren war. Sie hatte es nur für sich getan.
Sie hörte Löbinger und Meirich zurückkommen. Löbinger telefonierte, erst mit Bermann, dann mit dem Fahndungsdezernat. Er fragte sie nach einem zweiten Wohnungsschlüssel, bei einem Nachbarn, dem Hausmeister, sie schüttelte den Kopf. »In meinem Büro im Schreibtisch, linke obere Schublade.«
»Gut«, sagte Löbinger und gab die Info an die Fahnder weiter. »Und jetzt, Hans, redest du.«
Und Meirich redete, unter Schmerzen und mit Mühe, aber bereitwillig, als könnte er durch ein detailliertes Geständnis ungeschehen oder für sich selbst begreiflich machen, was er getan hatte. Löbinger fragte hin und wieder nach, Louise hörte zu, ohne sich umzudrehen, während sie beobachtete, wie es draußen immer dunkler wurde. Sie wünschte, es wäre frühmorgens und würde immer heller werden, im Sonnenlicht ließ sich, dachte sie, alles besser ertragen – was andere getan hatten, was man selbst getan hatte. Der Geruch des Regens half, aber die Dunkelheit nicht.
Eine der Villen am Hang in der Oberwiehre, die größte Wohnung, die Meirich je gesehen hatte, geschätzt zweihundertfünfzig Quadratmeter, sechs hohe, von einem Innenarchitekten eingerichtete Räume, Blick auf den Stadtwald, eine Zurschaustellung von Reichtum, Macht, Erfolg. Gut zwei Dutzend
Weitere Kostenlose Bücher