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Jäger und Gejagte

Jäger und Gejagte

Titel: Jäger und Gejagte
Autoren: Nyx Smith
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vielleicht Liebe.
    Das ist eine andere Sache, die ihn bedrückt. Seine Gefühle für Shell sind schwer zu definieren. Er ist nicht sicher, ob seine Gefühle für sie dem entsprechen, was sie Liebe nennen würde. Er hat sich noch nicht viele Gedanken über die Liebe gemacht. Bevor er Newark verließ, bevor er Shell kennenlernte, hat er keinen einzigen daran verschwendet. Er hätte sich nie träumen lassen, daß Liebe tatsächlich eine Rolle spielt.
    Waschbär ist ein Einzelgänger, aber muß er immer allein sein? Könnte in seinem Leben nicht auch noch Platz für jemand anders sein?
    Es ist schwer, den richtigen Weg zu finden.
    Leise schließt Bandit die Tür zum Treppenhaus. Unter den Stufen, den Stufen zur Haustür, ist ein kleiner Schlupfwinkel etwa von der Größe eines großen Schranks. Shells Kinder spielen manchmal hier. Es ist ein guter Ort, um sich zu verstecken und vertrauliche Gespräche zu führen. Die Rückwand macht einen soliden Eindruck, ist aber nicht solider als eine Wolke. Hinter der Wolke ist eine weitere Wand mit einer soliden Metalltür und vielen Schlössern. Bandit flüstert die Worte, um die Schutzvorrichtungen zu deaktivieren, dann kümmert er sich um die Schlösser. Zu seiner Überraschung sieht er sich plötzlich einem Geist gegenüber, einem Geist der Natur, der Menschheit.
    Der Geist sieht wie eine Art Zwerg mit groben Gesichtszügen und einem mächtigen Bart aus, aber er trägt Kleidung, die alt und vornehm aussieht und mit Rüschen und Spitze verziert ist. Mit einer Stimme so tief wie die Erde sagt der Geist: »Du bist willkommen an meinem Herd.«
    Bandit erwidert: »Ich danke dir.«
    Der Geist verbeugt sich, dann sagt er: »Es ist viele Jahre her, daß der Lärm umhertollender Kinder durch meine Vestibüle und Flure gehallt ist. Ich bin alt. Die Jahre haben meinen Ziegeln die Farbe und meinem Mörtel die Kraft geraubt. Bald wird die Zeit kommen, wenn meine Domäne nur noch von Erinnerungen bewohnt wird, und das wird sehr traurig sein. Denn was bin ich, wenn ich keine Zuflucht mehr gewähren kann? Ich hätte keinen Zweck. Ich hätte keine Bande mehr zur Ebene meiner eigenen Substanz.« Der Geist hält inne und lächelt. »Ich bin sehr dankbar, daß ich wieder den fröhlichen Lärm von Kindern höre. Sie sind hier willkommen. Und sie, die sie hergebracht hat, ist am meisten von allen willkommen.«
    »Ich danke dir.«
    Der Geist verbeugt sich und verblaßt vor Bandits Augen. Bandit macht einen weiteren Schritt und betritt sein Medizinzelt. Und dann ist er allein.
    Allein an seinem Ort der Abgeschiedenheit, seinem Ort für langwierige Magie.
    Der Ort ist nicht groß, gerade hoch genug, um stehen zu können, gerade groß genug, um Magie wirken und alles verstauen zu können, was an einem sicheren und geheimen Ort verstaut werden muß. Das Zelt befindet sich ebenso wie die Wohnung im Keller dieses Hauses, das von niemandem mehr bewohnt wird außer ihm, Shell und den Kindern. Bevor er Änderungen vornahm, bevor er dieses Versteck schuf, hat er den ungewohnlichen Schritt unternommen, den Geist dieses Hauses zu konsultieren. Der Geist hat ihn willkommen geheißen und ihn eingeladen, sich sein Versteck zu schaffen und seine Magie hier zu wirken. Er schien froh zu sein, eine Art Unterschlupf bereitstellen zu können. Seitdem hat er sich oft manifestiert, um mit ihm zu reden, um ihm von Geistern wie ihm selbst und von den Menschen zu erzählen.
    Aber es sind nicht die Menschen, die ihn heute abend beunruhigen. Es ist die Brieftasche, die Shell gestern gestohlen hat, die Ausweiskarte in der Brieftasche, das Bild der Frau auf dieser Karte. Das Bild der Frau ähnelt jemandem, den er einst kannte. Er fragt sich, ob das Zufall ist oder nicht und was er deswegen unternehmen soll.
    Eine Zeitlang sitzt er mit gekreuzten Beinen vor der Truhe, die ihm als ritueller Altar dient. Die Kerze, die dort brennt, wirft genug Licht, damit er die vielen Artefakte in seinem Zelt sehen kann: die Behälter mit farbigem Sand und Mineralien, Kästchen mit Kristallen, Tierfelle, Knochen, Trommeln, Rasseln. Was ihm das Kerzenlicht nicht zeigt, ist die Antwort, die er sucht.
    Er hebt seine Flöte, befingert das sorgfältig bearbeitete Holz, beobachtet, wie der Kerzenschein über den wachsartigen Lack flackert. Als er die Flöte an die Lippen hebt, spielt er keine bestimmte Notenfolge, keine feste Melodie. Er läßt die Musik aus seinem Innern fließen. Er läßt seinen Geist das Lied gestalten.
    Nach kurzer Zeit flackert das
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