Jäger und Gejagte
Minx, auf eine Leiche deutend. »Und die.«
Minx hat reichlich Erfahrung.
Der Cop zuckt die Achseln. »Schafft sie weg.«
Sie schnappen sich jeder eine Bahre aus dem Laderaum des Lieferwagens und eilen zu den Leichen. Die erste sieht aus wie ein Gangmitglied in Kunstleder: Stacheln und haufenweise Farben und Tätowierungen. Die zweite sieht wie ein normaler Bürger aus, wie irgendein Pinkel. Die Todesursache ist nicht unbedingt offensichtlich, und Monk ist sie auch völlig egal. Nachdem man die ersten hundert Leichen gesehen hat - zermatscht, verstümmelt, erschossen, erstochen, zerstückelt wie für eine Mahlzeit -, wird es schnell zur Routine. Sie laden erst die eine, dann die andere Bahre in den Lieferwagen und knallen die Türen zu.
Aus einem Impuls heraus winkt Monk dem Cop zu und sagt schlicht: »Mach's gut.«
»Bis zum nächsten Mal«, erwidert der Cop.
Minx kichert.
Fünf Blocks entfernt parkt Minx den Lieferwagen vor einem Voodoo Chili und stellt den Motor ab. Sie gehen in den Laderaum. Die Leichen liegen dort auf den Bahren, liegen dort wie tot. Die schwachen Spuren des Lebens werden von Minute zu Minute schwächer, aber das macht nichts, weil jetzt alles geregelt ist. Niemand wird sie stören, weil Seiten, Front und Heck des Lieferwagens mit der Aufschrift ›Stadt Newark. Gerichtsmedizin‹ versehen sind. Die meisten Leute wissen, daß das gleichbedeutend ist mit ›eklige Abgekratzte an Bord‹. Und niemand mag eklige Abgekratzte.
Nun... Fast niemand.
»Ich will den Pinkel«, sagt Minx.
Minx holt ihre Sony Budcam heraus und schießt ein paar Bilder von den Leichen für ihre Sammlung. Monk hebt den schlaffen Arm des Gangmitglieds und wedelt mit ihm vor Minx' Gesicht herum. »Ich komm dich jetzt holen, Jessica«, ächzt Monk.
»Iiiihhhh!« kreischt Minx. »Okay, laß es uns tun, Kickyl«
Monk beugt sich herab, preßt seinen Mund auf den des Gangmitglieds und atmet dann langsam ein. Es ist so ähnlich wie Mund-zu-Mund-Beatmung, nur umgekehrt. Der Hauch des Lebens? Es richtig zu machen, ist schwierig. Man kann ebenso leicht Leben geben, anstatt es einfach zu nehmen, und das kann echt abgedrehte Folgen haben. Aber diesmal geht alles gut. Die Woge, die seine Lungen füllt, ruft ein Prickeln in ihm hervor und steigt ihm zu Kopf, bis ihm schwindlig wird. Alles in allem ist das damit verbundene Hochgefühl besser als Sex.
Er setzt sich, seufzend, grinsend, satt und zufrieden. Minx zieht ihre Hand aus der Hosentasche des Pinkels und hält zwei silberne Kredstäbe hoch.
»Sieh mal, was ich gefunden habe«, sagt sie leise.
Im dunkelroten Dämmerlicht des Laderaums glühen Minx' Augen wie Vulkan-Lava, die echt feurig und heiß sein soll. »Nova.«
Monk grinst.
17
Es ist nach vier Uhr morgens, als Amy laut seufzt und sich schließlich von der Vorstellung löst, wieder einschlafen zu können. Am Abend zuvor ist sie dank einer Schlaftablette wie ein Stein eingenickt, kaum daß sie sich hingelegt hatte, aber die Wirkung der Schlaftablette hat nicht lange angehalten. Eine Weile ist sie zwischen Dösen und Wachliegen gependelt, aber seit einer Stunde liegt sie nur noch da und starrt ins Dunkel. Dies ist eine der Gelegenheiten, bei denen sie froh ist, allein zu leben. Es ist niemand da, den sie stören würde.
Warum kann sie nicht schlafen? Sie kennt den Grund. Und es hat keinen Sinn, es noch länger aufzuschieben.
Sie wählt Harmans Privatnummer und seufzt erleichtert, als sich sein Anrufbeantworter meldet. Es ist noch früh. Sie will ihn nicht wecken.
»Liebling«, sagt sie leise. »Ich gehe früh zur Arbeit und werde den ganzen Tag nicht im Büro sein. Ich weiß nicht, wann ich nach Hause komme, also rede ich morgen mit dir.«
Nach einem Augenblick des Zögerns fügt sie hinzu: »Warum versuchen wir es nicht am Freitag noch mal mit Abendessen? Vielleicht auf Long Island? Entscheide du. Ich liebe dich. Bis dann.«
Eine Dusche spült ihr die Spinnweben aus dem Kopf. Sie zieht sich an, schluckt Vitamine, trinkt Saft, schnappt sich ihre Aktentasche und bleibt dann vor dem Kleiderschrank an der Wohnungstür stehen, um Jacken und Mäntel zu begutachten. Die offensichtliche Wahl, ihr schwarzer Zoé-Trench, würde es heute nicht bringen. Darin sieht sie zu sehr nach Pinkel aus, nach dem braven Konzernmädchen, das sich der schicken Konzernmode anpaßt. Kurzum, in dem Trench würde sie zu sehr den Vorstellungen der Leute aus Tokio entsprechen.
Gestern hat sie zuviel von den Revisoren hingenommen, hat
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